Pink Christmas 2 (German Edition)
Claus
Der neunzehnjährige Julian fröstelte, während er sich nach der Nacht hinter den überdachten Containern auf den Weg zum Bahnhof machte. Es nieselte und war kalt. Verdammt, wie er diese Jahreszeit hasste! Und den heutigen Tag erst! Der 24ste Dezember, morgens, alles grau in grau. In der Nacht gefallener Schnee hatte sich auf dem Asphalt in dreckige Hügel verwandelt, Autos spritzen den Matsch auf die Gehwege. Von wegen friedliche Weihnachtszeit! Immer noch diese manipulierten Hampelmänner, die für letzte Besorgungen durch die Innenstadt hetzten, als sei der Teufel hinter ihnen her. Und er mitten drin, ohne auch nur entfernt dabei zu sein. Aber Julian war sicher, selbst wenn er nicht obdachlos wäre und seine paar Kröten am Bahnhof verdienen müsste, sähe sein Weihnachten anders aus. Und zwar, indem es definitiv keine Feiertage gäbe. Schon als Kind verband er die Adventszeit mit Frust und das Fest selbst mit besoffenen Verwandten, die irgendwann das heulende Elend bekamen. Oft gewannen auch Aggressionen die Oberhand, Weihnachtsbaumkugeln wurden mit dem Luftgewehr abschossen oder jemand brach seinem Gegenüber aus reiner Gewohnheit das Nasenbein, weil sie sich schon als Kinder ständig verprügelt hatten.
Während dieser Überlegungen kam er zum Bahnhof, schob sich in einer Menschentraube durch den Eingang. Hier war es zumindest trocken und wärmer, außerdem roch es gut. Richtig appetitlich, nach warmen Brötchen, Waffeln und Kaffee. Ob er sich davon etwas kaufen konnte, würde sich aber erst herausstellen, denn er war absolut pleite. In den letzten Tagen lief das Geschäft ziemlich unerfreulich. Die Freier hatten wahrscheinlich zu viel zu tun, auch eine Auswirkung dieser alljährlichen, völlig überzogenen Festlichkeit. Die Familie war wie durch Zauberhand plötzlich wichtiger als der schnelle Sex. Einige Freier hatten in der Adventszeit sogar ein schlechtes Gewissen, Julian kannte das schon, schließlich war er über drei Jahre dabei. Diese Heuchler kamen erst im Neuen Jahr ausgehungert wieder.
Die Freier, die ihm bis dahin blieben, fühlten sich genauso überflüssig wie er selbst. Deshalb kamen einige von ihnen auf immer die gleiche Superidee. Er sollte mit diesen in die Jahre gekommenen, ewig geilen Gastgebern Weihnachten verbringen und sie fühlten sich dabei auch noch wie Samariter. Ziemlich unerfahren ging Julian nur einmal auf so etwas ein. Es war der besonders kalte Winter vor drei Jahren, in dem ihm das Angebot dieses alternden Steuerberaters ganz recht kam. Kost und Logis gegen ein wenig Sex hörte sich akzeptabel an. Drei Tage Wärme, ein Bett, Geschenke, genug zu essen und Gemütlichkeit vor dem Fernseher. Und was war? Weil Heizung und offener Kamin kuschelige Wärme verbreiteten, musste er die ganze Zeit nackt sein, im Bett lag er auf dem Bauch, bis er kaum noch aufstehen konnte und die Geschenke fielen ganz flach, weil er angeblich nicht die nötige Begeisterung zeigte. Kurz - er sollte sich für Zimtsterne, Glöckchenbimmeln und Kerzenduft zu jeder Zeit nageln lassen und spätestens, als er dem Weihnachtsmann unter die rote Kutte greifen und ihm einen runterholen sollte, während der ihm mit einer Rute weihnachtlich den Hintern erglühen ließ, schwor er sich, in dieser Jahreszeit nie wieder mitzugehen.
Julians Blick schweifte durch die Halle und er machte sich auf den Weg zu einem von vier Treffpunkten. Vorerst begegnete er keinem bekannten Gesicht, aber irgendwo hier hielten sich immer Freunde und Bekannte auf. Am Abend wollte er mit einigen von ihnen im Grillhäuschen des Parks saufen, vielleicht kiffen, auf alle Fälle sich und die weihnachtliche Bredouille ausradieren. Wenn sie Glück hatten, ließen die Cops sie in Ruhe und sie konnten später in ihre verschiedenen Lager kriechen oder auch gleich an Ort und Stelle in die willkommene Empfindungslosigkeit fallen.
Während er sich weiter durch die Menge drängte, fiel Julians Blick auf einen schwarzhaarigen Kerl in den Dreißigern, den er heute hier unter keinen Umständen erwartet hatte. Sein Herz verfiel in Galopp, er spürte, dass er leicht zu zittern begann. Er versteckte sich hinter einem Zeitungsständer und beobachtete den anderen. Der Typ hieß Benjamin und war im letzten Jahr zu einer Art Stammfreier geworden. Normalerweise konnte Julian die Uhr danach stellen, einmal die Woche, dienstags am Morgen, kam er gegen zehn Uhr zum immer gleichbleibenden Treffpunkt. Er schaute nie nach anderen, ließ sich nicht anquatschen,
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