Pink Christmas 2 (German Edition)
dass er irgendwann entdeckt wurde. Solange ließ er seinen Fähigkeiten in den eigenen vier Wänden freien Lauf. Besonders zur Weihnachtszeit entfaltete sich das ganze Spektrum seiner Kreativität.
Im Zentrum der Zimmerdecke hing ein prächtiger, mit lachsfarbenen Kerzen und Kugeln verzierter Adventskranz, den er selber gebastelt hatte.
In der Glasvitrine präsentierte sich die wunderschöne Weihnachtsballerina aus Ton. Um die Skulptur herum waren selbstbemalte, rosafarbene Tannenzapfen drapiert.
Neben der Couch scharten sich sechs Plastikrentiere mit silbernen Glitzergeweihen in Zweierreihen. Sie zogen einen Schlitten aus Balsaholz, auf dem bunte Geschenke – ursprünglich Schuhkartons – gestapelt waren und eine aufblasbare, steife Puppe im Weihnachtsmannkostüm stand. Den weit geöffneten Mund der Puppe hatte Julian raffiniert unter dem künstlichen, weißen Vollbart verborgen. Insgesamt war das Gespann sehr günstig gewesen, weil er es in Eigenregie hergestellt hatte. Man musste nur ideenreich und erfinderisch genug sein.
Um die niedlichen, mit Kunstschnee bestäubten Goldsterne im Fenster, direkt über den süßen Keramikengelchen, beneideten ihn sämtliche Frauen aus der Nachbarschaft. Manchmal sprachen sie ihn sogar auf der Straße an und baten um Ratschläge für eine gelungene Dekoration, aber Julian verwies in solchen Situationen auf die baldige Eröffnung seines Geschäfts. Dann würden sie ein Ratgeberexemplar ergattern können, in dem er die Fertigung seiner Kunstwerke Schritt für Schritt erklärte. Julian bekam so einen kleinen Vorgeschmack davon, was es bedeutete, eines Tages ein populärer Star im Rampenlicht zu sein.
Seinen Wellensittichen Brittany und Tiffany hatte er einen mundgeblasenen Vogel aus hauchdünnem, rotbemaltem Glas mithilfe einer vergoldeten Krokodilklemme am Käfig befestigt. Sogar Jacks Zwergkaninchen Petit Gougou zierte am Hals eine purpurne Schleife mit bimmelndem Messingglöckchen. Und Ashton, dem Goldfisch, leistete ein güldener Kunststoffkamerad Gesellschaft.
Julian hatte wirklich an alles gedacht. Das Essen köchelte auf dem Herd duftend vor sich hin. Die Wham-CD war eingelegt und der Repeat-Knopf gedrückt.
Es mussten nur noch ein paar letzte Feinarbeiten am festlich geschmückten Christbaum vorgenommen werden. Julian balancierte auf einer Leiter, summte die Last Christmas-Melodie vor sich hin, hing Lametta über die mit rosa Kunstschnee besprühten Zweige und krönte den Baum abschließend mit der samtweiß glänzenden Spitze in Phallusform. Dieses Juwel hatte er in seiner Lieblingsboutique Filth & Superfluous aufgestöbert.
Er zündete die Kerzen an und betrachtete zufrieden sein Meisterwerk: die perfekte, romantische Weihnachtsatmosphäre. Es war die richtige Entscheidung gewesen, erstmalig auf eine elektrische Lichterkette zu verzichten.
Es würde ein lauschiger Abend werden, so wie er es in der Fernsehreklame und auf den Werbebannern der Karstadtfiliale gesehen hatte, jenem Ort, der ihm maßgeblich als Inspirationsquelle diente.
Wenn Jack pünktlich war.
Julians Freund arbeitete als Softwareentwickler in einer Computerfirma, wusste der Teufel, wo genau oder wie die hieß. Jedenfalls war Jack oft im Namen dieses Unternehmens unterwegs und jonglierte gern mit den Begriffen Systemoptimierung oder Kundenzufriedenheit. Er hatte schottische Wurzeln. Sein Urgroßvater war aus irgendwelchen Gründen noch vor dem ersten Weltkrieg von Edinburgh nach Deutschland immigriert. Mit seinen knackigen 23 Jahren besaß er den athletischen Körper eines bengalischen Tigers. Für Julians Geschmack war Jack schon fast ein bisschen zu alt, aber er konnte sich mit ihm noch in einer Diskothek aufhalten, ohne sich den ganzen Abend in halbschattigen Ecken verstecken und sich für seine Betagtheit schämen zu müssen.
Gerade kam Jack aus seinem Büro zurück. Er hatte kurzfristig noch etwas Wichtiges erledigen müssen. In seinen Händen hielt er eine große Papiertüte, die er neben der Wohnungstür auf dem Boden abstellte.
Jack konnte der Weihnachtszeit zwar keine Sympathien abgewinnen, aber Julian war davon überzeugt, dass er nur richtig aufgetaut werden musste.
Jack streifte die Hugo Boss Jacke von den breiten Schultern und hing sie an die Garderobe. „Bei dem Mistwetter will sich bei mir keine weihnachtliche Stimmung einstellen. 15 Grad und Regen.“
Die Sohlen seiner schweren Motorradstiefel bohrten sich tief in den fliederfarbenen Polyacrylteppich.
„Ich bin gleich für
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