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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Stothard
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ich
werde also gar nicht da sein.«
    »Macht es dir dann wirklich nichts aus?«
    »Ganz bestimmt nicht«, sagte er.
    »Sicher?«
    »Sicher«, bestätigte er.
    »Was ist denn so alles los? Promis?«
    »Nachts sind die Leute interessanter. Wenn man nachts rausgeht,
kriegt man zu sehen, was nicht für fremde Augen bestimmt war.«
    »Leidest du unter Schlaflosigkeit?«, fragte ich.
    »In letzter Zeit«, sagte er. »Ein wenig.«
    Man konnte zu Fuß vom Restaurant zu Davids Wohnung gehen. Er hatte
eine stattliche Sammlung schlechter Horrorfilme, genau wie Dad, aber es standen
auch Bücherregale an den Wänden. Natürlich war er ein gutes Stück älter als
ich, doch es wurde mir erst bewusst, als ich darüber nachdachte, wie viel mehr
Informationen er im Vergleich zu mir im Kopf haben musste. In der Schule war
Englisch mein bestes Fach gewesen, aber gelesen hatte ich nicht besonders viel.
Später entdeckte ich, dass Davids zerlesenste und vollgekritzeltste Bücher
diejenigen von Hemingway und Capote waren. Die Bücherregale bedeckten zwei ganze
Wände seiner kleinen Wohnung, und da gab es außerdem noch Fitzgerald, Aldous
Huxley, Mark Twain, Joseph Heller, J.D. Salinger und eine Menge wunderschöner
Fotobände, die er nach einem geheimnisvollen System aufstellte, eher nach ihrer
Bedeutung als alphabetisch nach Titeln oder Künstlern geordnet. An den Wänden
hingen keine persönlichen [156]  Fotos, weder sein zahnloser Vater noch die tote
Mutter oder Lily, nur eine Bildserie, auf der namenlose Leute zu sehen waren,
alle von hinten aufgenommen: eine alte Frau mit dem Rücken zur Kamera, ein
kleines Mädchen, das von der Kamera weglief, eine dünne Frau im Minirock, die
ihr den Stinkefinger zeigte, und das Foto einer belebten Einkaufsstraße, in der
sämtliche Gesichter von Hüten, anderen Köpfen oder Säulen verdeckt waren. Alle
Fotos waren gerahmt, wirkten aber dennoch irgendwie trostlos, nirgendwo Details
oder Gesichter.
    Ansonsten war Davids Wohnung geradezu klinisch sauber und
aufgeräumt. Es war nicht einmal etwas zu essen im Kühlschrank. Sein IKEA -Schlafsofa ließ sich anstandslos vor dem
Flachbildfernseher aufklappen.
    »Hier hast du ein Glas Wasser«, sagte er, reichte es mir und wirkte
dann etwas hilflos. »Möchtest du sonst noch was? Ich hab nicht so häufig
Besuch.« Auf dem Sofa hatte er schon Bettwäsche, Kissen und eine Decke für mich
gestapelt.
    »Alles gut, danke«, sagte ich. »Wirklich
sehr nett von dir.«
    »Ich bin morgen früh wieder da. Wenn du vorher abhauen willst«,
sagte er, »zieh einfach die Tür hinter dir zu. An der Ecke ist eine
Bushaltestelle. Ich weiß ja, wo dein Hostel ist und alles, also –« Er
unterbrach sich kurz. »Und lass nichts mitgehen«, sagte er. »Bitte. Okay?«
    »Okay«, lächelte ich. »Ich werd mir die größte Mühe geben, nichts
mitgehen zu lassen.«
    »Danke«, sagte er lächelnd.
    [157]  »Ich stehle nur auf Beerdigungen.«
    »Puh. Gut zu wissen.« Nach kurzem betretenem Schweigen wandten wir
beide den Blick ab.

[158]  18
    Am nächsten Morgen wachte ich früh auf, noch bevor David
nach Hause kam. Ich duschte in seinem blitzblanken Bad und sah mich in der
Wohnung um. Auch sein Schlafzimmer war sehr ordentlich. An einer Wand trennte
eine kaputte Schiebetür den begehbaren Schrank ab. Ich musste lächeln, wenn ich
darüber nachdachte, wie er einen so wirren, chaotischen Eindruck machen konnte,
während in seiner Wohnung eine derart vorbildliche Ordnung herrschte. Ich
wühlte in den Taschen einiger Hosen in seinem Schrank, fand aber nicht viel:
einen Kugelschreiber, ein Stück Plastik, das wohl von einer Kamera abgebrochen
war, eine in ein Papiertaschentuch gewickelte Zigarettenkippe und eine mit
einer Telefonnummer bekritzelte Serviette. In einer Schublade lagen zwischen
gefalteten Boxershorts und eingerollten Socken verkehrt herum ein paar Fotos.
Ich hoffte, das von Lily zu finden, das er auf der Totenwache von ihrem
Nachttisch gestohlen hatte, auf dem sie in Bikini und weißem T-Shirt dahockte,
doch die Bilder zeigten David mit Freunden. Auf einem sah man ihn mit einer
Gruppe lässig-ungepflegter Typen, allesamt grinsend und mit Bierflasche in der
Hand vor einer Kneipe. Auf einem anderen saßen dieselben Leute [159]  in einem
ramponierten goldfarbenen Auto mit David am Steuer.
    Das Auto hatte braune Ledersitze, passend zu der honiggolden
glänzenden Karosserie. Es erinnerte mich an alte amerikanische Filme. Die
Motorhaube war vorgewölbt wie eine

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