Pink Hotel
Bärenschnauze, und die schimmernde
Lackierung schien wie gemacht für den grünäugigen Fahrer mit dem stoppligen
Bart. Es war ausgefallen, aber keine Angeberkarre, glich eher einem zu groß
geratenen Haustier als einem fahrbaren Untersatz.
Außerdem gab es ein wirklich schönes Foto von David, wie er auf der
Motorhaube des verbeulten alten Autos – einem Buick – saß, eine Kamera vor dem
Gesicht. David sah einsam aus, wie er mit leerem Blick durch die Kamera
starrte. Ich legte die drei Fotos umgedreht wieder in die Schublade zurück. Die
Wände der Wohnung waren beige, die Teppiche auch, und die Vorhänge hatten jene
geometrischen Muster, wie man sie von Sitzbezügen in öffentlichen Verkehrsmitteln
kennt. Selbst seine Küchenschränke waren fast leer. Offenbar ernährte er sich
von Schinkensandwiches mit abgeschnittenen Krusten und Oreo-Keksen.
Seine Bücher verrieten als Einziges Persönlichkeit. Ganz unten im
Regal standen Fotokunst- und Modebände, jene großen, sündhaft teuren Bildbände.
Post-its klebten an den Seiten, wo Davids Fotos abgedruckt waren. Der erste
Band, den ich aufschlug, trug den Titel Suburban Circus, in dem ungewöhnliche Leute ganz gewöhnliche Dinge in ihren Häusern taten. Ich
staunte über eine extrem gelenkige Frau im Tutu, die in einer [160] grotesken
Verrenkung ihr Badezimmer putzte, und über eine Albino-Jugendliche, die in einem
atemberaubenden grünseidenen Ballkleid oben an einer Treppe stand, als sei sie
auf dem Weg zu ihrem Abschlussball. Davids Foto auf Seite dreißig zeigte eine
Zwergin, die einem hünenhaften Mann mitten in einem sorgsam gepflegten
Rosengarten einen blies. Das Bild war aus einiger Entfernung aufgenommen. Aus
irgendeinem Grund erinnerte es mich daran, wie Dad mit mir, als ich klein war,
Gulliver’s Village besucht hatte, wo all diese Miniaturhäuser standen, während
ich gedacht hatte, es würde ein Dorf für einen Riesen sein. Dad und ich waren
durch die Straßen gelaufen – er hatte King Kong gespielt, ich so getan, als
wäre ich die Frau aus Angriff der 20-Meter-Frau, auf
einem Rachefeldzug gegen alle, die mich geärgert hatten. Das Paar auf Davids
Blowjob-Foto wurde von Autoscheinwerfern angeleuchtet, durch einen Rosen- oder
Brombeerstrauch hindurch, denn das Licht war stellenweise gebrochen. Es ließ
die Konturen der Körper zerfließen, als wären sie aus schmelzendem Plastik. Es
wirkte so unecht, die kleine Frau hätte genauso gut eine gewaltige Puppe
aufblasen können, und bald würde sich der Mann von ihrem Mund lösen und in den
Himmel aufsteigen.
Andere Beispiele von Davids Arbeiten waren konventioneller. In einer
Modezeitschrift war eine Werbekampagne für Parfüm mit einem Klebezettel gekennzeichnet,
obwohl sein Name dort nicht erwähnt wurde. Es war das Foto einer nackten, mit
Sand bedeckten Frau, die sich in verführerischer Pose am Strand räkelte. [161] In
einer anderen Zeitschrift gab es eine Doppelseite mit Bikini-Models auf einem
Dach in Los Angeles, eine weitere zeigte Männer und Frauen, die ihre Hunde über
die Straßen einer Stadt führten. Eins dieser Fotos war das von Lily, das ich in
der Seitentasche ihres Koffers gefunden hatte. Ich legte den Finger auf Lilys
hübsches Gesicht und versuchte mir vorzustellen, wie es sich für sie angefühlt
hatte, unter Davids Augen diese Straße entlangzustöckeln. Als ich die
Zeitschrift in das staubfreie Regal zurücklegte, fiel mir eine einzelne
zusammengefaltete Seite auf, die zwischen zwei Heften steckte. Sie war
zerdrückt und begann an den Rändern bereits zu verblassen wie eine ungeschickt
gepresste Blume. Beim Auseinanderfalten blieben die Ecken aneinander hängen. Es
waren Todesanzeigen aus einer zweieinhalb Wochen alten Los
Angeles Times. Sie nahmen die Hälfte der Seite ein und sahen aus wie
Bekanntschafts- oder Kleinanzeigen, nur bot jedes der schwarzumrandeten
Kästchen eher eine Erinnerung als ein Schnäppchen oder einen Kuss an. Da war
Mavis Miller, mit 92 Jahren friedlich in Pasadena entschlummert. Und Linda
Barretto Tengco, 42, aus Porter Ranch, Kalifornien, um die ihr Mann Vergel
trauerte. Ich erfuhr, dass Walter, 81, geliebter Ehemann, Vater und Großvater,
am 13. November 2009 in Los Angeles, Kalifornien, nach Komplikationen bei einer
Operation verstorben war. Und anstelle von Blumen bat Dan Silverman um Spenden
an die Krebsforschung. Trotz ihrer Kürze ging eine merkwürdige Poesie von
diesen Kästchen voller Erinnerungen aus, die doch alle seltsam
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