Pink Hotel
mit
Flachdach und Hecken davor entdeckte ich schließlich die Bar. Es war noch früh
am Nachmittag, und das Sonnenlicht fiel auf die geschlossene massive Flügeltür,
über der »Julie’s Place« stand.
Draußen rauchte ich neben einer Straßenlaterne zehn Minuten lang
Zigaretten, ehe ich beschloss, um die Ecke herum und unter einem Torbogen
hindurch zu einem großen Parkplatz auf der Rückseite zu gehen, wo zwei
affektierte Männer vor einer offenen Tür plauderten. Los Angeles funktioniert
rückwärts – die Leute kommen vom Parkplatz durch den Hintereingang, die
Vordertüren sind nur Attrappen, weil außer Pennern und irgendwelchen Idioten
niemand zu Fuß durch die Stadt geht. Der Parkplatz wurde von einer
graffitibedeckten Backsteinmauer begrenzt, eine [166] Retro-Werbetafel von
Coca-Cola hing schief in den Angeln. Beide Männer trugen von Kopf bis Fuß
Schwarz. Sie hatten die hohen Wangenknochen und intensiv-ausdrucksvollen Augen
von Schauspielern, doch keiner von ihnen sah in meine Richtung. Sie redeten
über Drehbücher. Ich blieb etwas abseits stehen und belauschte sie kurz. Der
eine schrieb einen Thriller über kokainschmuggelnde Schlangenanbeter in Texas,
der andere einen Teenie-Liebesfilm über Austauschstudenten, die sich in
Werwölfe verwandelten.
»Entschuldigung«, sagte ich irgendwann und trat näher. Nahezu
identisch großäugig und gleichmäßig gebräunt sahen sie in meine Richtung. Ich
wurde nervös, fragte aber dennoch, ob Julie in der Nähe sei.
»Drinnen«, sagte der eine. Ich trat aus der Sonne in einen Flur mit
schwarzgestrichenen Wänden. »Ja also wie gesagt, angeblich soll so ein
Schlangenbiss total krass sein, besser als Ex nehmen«, hörte ich hinter mir.
Der Flur beschrieb einen leichten Bogen und endete in einem Barraum, wo es nach
Schweiß roch. Noch waren alle Lichter aus, nur ein paar Stühle standen schon
unten, die meisten jedoch umgedreht auf den im ganzen Raum verteilten polierten
Holztischen. In der Ecke gab es einen Flipperautomaten, und auf einem
Flachbildfernseher über der Theke lief ein Football-Spiel. Das Furnier an den
Wänden blätterte ab, und es gab keine Klimaanlage, nur zwei schwarzgestrichene
Ventilatoren, die träge die stickige Luft bewegten.
»Hallo?«, rief ich. Es schien niemand da zu sein. Nach einem
weiteren »Hallo?« ging ich an den Flipper und [167] warf einen Vierteldollar ein.
Im Fernsehen verbreitete sich ein Sportreporter über die Geschichte des
American Football, und ich zog den Plunger zurück. Als ich gerade anfangen
wollte zu spielen, in Gedanken bei der Trocadero Arcade am Leicester Square, wo
ich als Kind manchmal herumgehangen und mir die Zeit mit Videospielen
vertrieben hatte, hörte ich jemanden sagen:
»Wir haben geschlossen.«
Ich zuckte zusammen und drehte mich um; die Silberkugel verschwand
in den Windungen des Automaten. Hinter der glänzenden Chromtheke stand dieselbe
abgemagerte Frau mit kurzem schwarzen Kraushaar, die auf Lilys Totenwache mit
geschlossenen Augen getanzt hatte. Mit einer Hand, deren Finger von Modeschmuckringen
aus Plastik fast verdeckt waren, wischte sie den Tresen. Sie war so zierlich,
dass unter der blassen durchscheinenden Haut ihre Knochen hervortraten. Statt
von Haut und Knochen schien sie eher von Haaren und ihren Kleidern
zusammengehalten zu werden, als könnten ihre Finger zu Staub zerfallen, wenn
man die Plastikringe abzog. Sie musste Mitte vierzig sein, sah aber älter aus.
Sie lächelte nicht.
»Sind Sie Julie?«, fragte ich.
»Haben die Jungs Sie reingelassen?«, fragte sie spitz, ohne auf
meine Frage einzugehen. »Kann ich Ihren Ausweis sehen? Nichts für ungut, Sie
sehen aus wie zehn.«
»Ich bin auf der Suche nach Richard Harris«, sagte ich.
»Der wohnt schon seit Jahren nicht mehr hier. Sie müssen leider
gehen. Ich dulde keine Minderjährigen in [168] meiner Bar. Und ich hab den Mann
seit Jahren nicht mehr gesehen.«
»Waren Sie auf Lilys Totenwache?«, fragte ich.
Julie hielt inne und sah mich an. Die Hand mit dem Wischlappen
verharrte regungslos auf der Bar. Ihre Augen lagen in tiefen Höhlen, die Haut
war faltig und aufgedunsen, als befänden sich darunter Blasen. Selbst im
Dunkeln konnte man die roten Äderchen auf ihren Lidern sehen. Die mit
hellbraunem Stift aufgemalten Brauen verliehen dem Gesicht einen Ausdruck permanenten
Überraschtseins, selbst wenn ihre Gesichtszüge ansonsten eher traurig wirkten.
Alles an ihr war angespannt, von den Mundwinkeln bis zu den Sehnen an
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