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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Stothard
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die
Magazine, für die David überwiegend arbeitete. Mir kam es so vor, als wären die
verschiedenen sozialen Schichten in Little Armenia parallele Universen. Die
armenischen Großmütter würdigten die joggenden Pornostars keines Blickes, die
wiederum ignorierten die stillen Thai-Pärchen, die vor den Nagelstudios
hockten. Die armenischen Möchtegerngangster, die im nächsten Einkaufszentrum
vor dem Starbucks Plastiktütchen mit Marihuana verkauften, beachteten nur
armenische Frauen. Ich hätte im Minirock und oben ohne vorbeigehen können, und
sie würden mich zwar sehen, aber nicht auf mich reagieren, weil wir uns nicht
in derselben Dimension befanden. Die Gangster hörten ihre eigene Musik über
Kopfhörer und trugen weiße Turnschuhe, mit denen sie jungen hübschen
Armenierinnen in Röhrenjeans ein Bein zu stellen versuchten. Näher an den
Starbucks-Türen fanden sich Schachbretter auf Tischen, und runzlige Finger
schwebten über schwarzen oder weißen Holzfiguren. Dort roch es nach Kaffee und
saurem Schweiß, aber ich sah diesen ernsten Spielen gern zu. Es machte mich
zufrieden, weniger aggressiv als sonst, und ich kam [191]  mir vor, als spähte ich
durch einen Türspalt. Nur der jüngeren Generation, den Neuankömmlingen, fielen
die Paralleluniversen auf.
    David hatte nicht die leiseste Ahnung, dass er in Little Armenia
lebte, das eigentlich zu Los Feliz gehörte und nahtlos in das etwas
auffälligere, für Schönheitssalons und Take-aways berühmte Thai Town überging.
»Ich wohne in Los Feliz«, war sein einziger Kommentar dazu, während er aus dem
Fenster sah, wie eine aufreizende, platinblonde junge Mutter ihr Kind in einem
Dreihundert-Dollar-Buggy an den Abgaswolken sich stauender SUV s vorbeischob. Die armenischen Jugendlichen auf der
Mauer, die alles im Blick hatten, sah er nicht. Dass wir in der Nähe von Thai
Town wohnten, war ihm nur deshalb klar, weil die fettigen Styroporboxen mit
Currys so rasch geliefert wurden. Er nahm nur die Ebenen seiner Umgebung wahr,
die ihn unmittelbar betrafen.
    Nach zwei Wochen schienen die Armenierinnen mittleren Alters in
Davids Mietshaus mich schließlich auch zu bemerken, und wir wurden Freundinnen.
Ich brauchte Freundinnen, allein schon, um nicht ständig an Davids Fenster zu
hocken und nach Richard oder dem stiernackigen Burschen mit Schuljungenfrisur
und Nasenpiercing Ausschau zu halten. Die freundlichen Armenierinnen waren die
Mütter der pubertären Jungen, die alles beobachteten, und der Pseudogangster,
die nichts mitbekamen, auch wenn ich nie genau herausfand, wer zu wem gehörte.
Vielleicht waren sie auch die Töchter der Liegestuhl-Omas, aber da wurde es mir
zu kompliziert.
    [192]  »Ich bin in einem Dorf am Fuße des Berges Ararat geboren, genau
der Berg, Kleine, wo Noah mit seiner Arche nach der Sintflut anlegte«, erzählte
mir eine, während wir neben der braunen Swimmingpoolbrühe rauchten. »Ich hab
einen Vater, einen Cousin und einen Bruder bei der Suche nach Noahs sagenumwobenem
Schiffswrack verloren, das angeblich genau in der Gegend lag, wo wir wohnten.
Warum mussten die das unbedingt finden, hm? Immer und immer wieder hab ich sie
das gefragt, aber sie hörten nicht auf mit der Kletterei und der Suche nach dem
verdammten Ding, nie war Ruhe damit. Meine Schwester hat mit achtzehn Jahren
einen hässlichen Mann vom Biblisch-Archäologischen Erkundungs- und
Forschungsinstitut geheiratet. Ehe er sie verließ, hat er ihr einen Sohn gemacht,
und den hat sie Noah genannt, genau wie die anderen fünfundzwanzig Jungen in
der Dorfschule hießen.« Ich lächelte der Frau zu, die ihre schmutzigen Füße ins
Wasser hielt. Kleine ausgefranste Dreckschlieren kamen zwischen ihren Zehen
hervor und lösten sich im Wasser auf.
    »Meine Güte, Kindchen, was war das für ein Trara, als ein paar
Spinner aus der Gegend behaupteten, sie hätten die Arche schon vor Jahren
gefunden, wären von Kindesbeinen an drin rumgelaufen und hätten dort gespielt.
Also wirklich, was für ein Trara, Kleine, um ein paar alte Holzbalken, die sie
von einer Scheune geklaut und ein paar Wochen im Schnee verbuddelt hatten. Sie
haben sich gebrüstet, in den heiligen Eingeweiden von Gottes Schiff Fangen
gespielt zu haben, während mein Vater und Bruder auf der Suche danach ums Leben [193]  gekommen sind.« Ich bot ihr eine Zigarette an, und sie zog kurz und heftig
daran, als befürchtete sie, die Kippe könnte ihr jederzeit wieder weggenommen
werden. Ihre Knie waren knorpelig, wie

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