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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Stothard
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Ledertaschen voller unterschiedlich
geformter Steine. Meine waren hell mit einem Mosaik aus weißem Narbengewebe vom
Fußballspielen und Prügeln.
    »Wie sind Sie nach Amerika gekommen?«, fragte ich sie höflich.
    »Meine Zwillingsschwester und ich, wir hatten kein Interesse, Männer
namens Noah zu heiraten, verstehen Sie?«, sagte sie, und ihre Aussprache färbte
sich etwas amerikanischer, während sich eine andere Frau aus Davids Haus über
die Brüstung der motelartigen Balkone in den Innenhof lehnte. Sie war kleiner
und hatte schütteres Haar, was ihre ohnehin schon hohe Stirn noch hervorhob.
    »Erzählt Dalita Ihnen von Noah?«, fragte die mit dem Haarausfall von
oben.
    »Ach was«, meinte Dalita.
    »Dalita war verrückt nach Noah, die wär ihm jederzeit bis zum Grund
des Meeres gefolgt.«
    »Blödsinn«, fauchte Dalita, den Blick auf ihre Knie gerichtet. Diese
Frauen fragten mich nie, was ich in Los Angeles machte, erzählten mir aber gern
von sich.
    »Sie sind blutarm, Kind«, sagte eine von ihnen mit einem Blick auf
die blauen Flecken an meinem Körper.
    »Dieser Bursche, mit dem Sie zusammenleben, hat Dreck am Stecken«,
sagte eine andere.
    [194]  »Haben wir das nicht alle«, bemerkte noch eine andere.
    »Haben Sie keine Angst«, sagte die eine.
    »Seien Sie nicht wütend«, eine andere.
    »Ihre Seele ist einsam«, wieder eine.
    »Alles geht den Bach runter«, noch eine andere.

[195]  22
    Drei Wochen nach Lilys Totenwache führte ich David einen
Handstand vor, zeigte ihm, wie gerade ich auf Händen durch sein Wohnzimmer
gehen konnte. Ich hatte Jeans und ein T-Shirt an, meine nackten Zehen reckten
sich gegen die Schwerkraft, und die Sehnen in meinen Füßen traten hervor. Eine
Stunde später fickten wir, aber ich erinnere mich nur undeutlich daran. Ich
weiß noch, wie kindisch es war, vor ihm Handstand zu machen – wie mir das Blut
in den Kopf stieg und mein Rückgrat kribbelte, als es sich nach oben streckte.
Ich weiß noch, dass es abends war und dass er sagte, ich hätte Turnerin werden
sollen. Ich entgegnete, Gymnastik sei was für Weicheier, Fußball sei das einzig
Wahre, doch danach ist da zuerst eine große Leere, dann eine Detonation von
Geräuschen und Gefühlen, als wir uns wohl das erste Mal küssten und uns richtig
berührten.
    Da ich keine bleibende Erinnerung an diese Augenblicke habe, stelle
ich mir meine Gedanken als eine Stadt und diesen ersten Abend mit David als
eines jener abgerissenen Häuser in Los Angeles vor. In dem Schutt finden sich
zwar die Konturen einer Erinnerung, doch sie ist umgekippt und halb verdeckt.
Unter dem vertrockneten Laub und den Graffiti kann ich nicht sagen, wie [196]  wir
irgendwann so weit kamen, dass ich mein schwarzes Baumwollhöschen von den Fußknöcheln
schob wie eine Grille, die Musik macht, und zu meinem Schrecken feststellte,
dass ich noch immer blaue Baumwollsocken trug. Keine Erinnerung daran, wie wir
aus dem grellbeleuchteten Wohn- in das abgedunkelte Schlafzimmer kamen. Ich
könnte nicht sagen, wie er an diesem Abend nackt aussah oder wie ich mich nackt
vor ihm fühlte; nicht, wer mit wem was anstellte oder welche Muster unsere
Körper auf den Laken bildeten. Ich könnte nicht sagen, ob es mir Angst machte,
jemanden zu küssen, dessen Körper, verglichen mit meinem, so abartig groß war,
und wie das überhaupt funktionierte, rein logistisch. Ich könnte nicht sagen,
woran ich dabei dachte, wie es roch oder welche Geräusche in Davids Wohnhaus zu
hören waren. Ich könnte nicht sagen, ob wir leise oder laut waren.
    Ich erinnere mich erst wieder daran, wie ich auf seiner Bettkante
saß. Ohne hinzusehen wusste ich, dass er mich dabei beobachtete, wie ich Lilys
hautfarbenen Spitzen- BH über meinen Brüsten
schloss. Ich zog den Bauch unter seinen Blicken etwas ein, und als ich die Arme
hob, um mir das weiße T-Shirt überzustreifen, roch ich ihn auf meiner Haut.
Gemeinsam hatten wir einen ganz eigenen Geruch. Deodorant und verschwitztes
Fleisch, Feuchtigkeit und ungewaschene Bettwäsche, getrockneter Speichel und
die heftigen Bewegungen in der Dunkelheit hatten sich darin vermischt. Beim
Gedanken an die vergangene Stunde lächelte ich glücklich vor mich hin, wohl
wissend, dass David mir auch dabei zusah.

[197]  23
    Daphne sagte mir ständig, ich solle »nicht so zornig
sein«. Sie zog bei Dad ein, als ich elf war. Aus irgendeinem Grund glaubte sie,
ich sei etwas, mit dem sie spielen könne, doch ich wollte weder Puppe noch
Tochter für sie sein,

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