Pink Hotel
besoffen gewesen wäre.
[222] »Hast du ihr je Liebesbriefe geschrieben?«, fragte ich David im
Auto.
»Nein«, antwortete er mürrisch. Ich wusste nicht recht, ob ich ihm
glauben sollte oder nicht. Es herrschte Funkstille, als ich mich später im Wohnzimmer
auszog und darauf lauschte, wie er sich im Schlafzimmer die durchgeschwitzten
Klamotten vom Leib zerrte. Wir gingen uns aus dem Weg. Ich ließ das Badewasser
ein. Er machte den Fernseher an. Er brachte Wasser zum Kochen. Ich stieg in die
Wanne. Zehn Minuten später kam er ins Bad und putzte sich die Zähne, während
ich in der aufsteigenden Wärme und dem dichten Dampf schwebte. Mit den Zehen
zog ich hastig den verklebten Duschvorhang zu. Ich habe lange Zehen. Irgendwie
komisch. Mein zweiter Zeh ragt weiter hinaus als der große. Bei Dad ist es
genauso.
»David?«, sagte ich.
Knurrend spuckte er Zahnpasta ins Waschbecken.
»Ich dachte, du wüsstest es«, sagte ich. »Ich dachte, es würde dir
nichts ausmachen oder dass du zumindest nichts dagegen hättest.«
»Wie kommst du darauf?«
»Als wir uns das zweite Mal begegnet sind, hast du gesagt, ich sähe
besser aus. Nicht mehr ganz so verwildert.« Das Wasser um mich herum war
leuchtend grün. »Es tut mir leid«, sagte ich.
Eine Weile blieb er stumm, legte dann seine Zahnbürste zurück auf
das Waschbecken und trank einen Schluck Wasser aus dem Hahn.
»Du bist in die ganze Sache reingestolpert«, sagte er [223] schließlich.
»Ist nicht deine Schuld. Und in komischen Klamotten bist du mir lieber, als
wenn ich dir nie begegnet wäre.« Ich tauchte kurz mit dem Kopf unter. »Und das
ist wohl das Entscheidende«, sagte er, »weil wir uns nie kennengelernt hätten,
wenn du keine Diebin wärst.«
»Oder du kein mieser Alkoholiker«, sagte ich.
Durch den Duschvorhang sah ich ihn schemenhaft am Waschbecken
lehnen. Wir schwiegen wieder.
»Weißt du, ich bin zehn Jahre älter als du«, begann er das Gespräch
wieder. »Das ist nicht gut.« Ich fragte mich, ob das wohl der richtige
Zeitpunkt war, um zu beichten, dass ich fünf Jahre jünger war, als ich behauptet
hatte, entschied mich aber natürlich dagegen.
»Mach die Augen zu, ich komme jetzt aus der Wanne«, sagte ich
stattdessen.
»Ich hab dich schon nackt gesehen, du
kleine Diebin.«
»Du hast mich noch nie nackt gesehen, wenn du sauer auf mich warst.
Das ist etwas völlig anderes. Geh raus, oder ich löse mich auf.«
»In was?«
»Im dreckigen Badewasser.«
»Ich will nicht, dass du mit den Trollen und den Leguanen durch
meinen Abfluss rutschst. Du könntest die Rohre verstopfen«, sagte er.
»Wie nett.«
»Ich hab die Augen geschlossen«, log er. Ich spähte um den Vorhang,
wo er ganz offensichtlich auf meine sitzende Silhouette hinter dem milchigen
Plastikvorhang starrte. Grinsend nahm er ein Handtuch von der [224] Stange, das er
sich wie eine Fußballfahne vor den Körper hielt.
»Hast du dich in eine Meerjungfrau verwandelt?«, fragte er.
»Das hättest du wohl gern«, antwortete ich lächelnd und stand auf.
»Zufällig bin ich halb Mensch, halb Taube«, damit stieg ich aus dem Wasser und
in das wartende Handtuch.
»Klingt, als müsste man sich das einmal genauer ansehen«, sagte er
und wickelte mich in das Badetuch.
[225] 27
Eine Woche später fand ich ausgebreitet auf Davids Bett
sorgfältig ausgewählte Frauenkleidung. Wie menschliche Silhouetten lagen da
eine altmodische Jeans, fünf hochgeschlossene Baumwoll-T-Shirts, schwarze und
weiße Baumwollslips, ein brauner Pullover aus einer Art Synthetikstrick, ein knielanger
Chiffonrock, ein paar Strumpfhosen und Pumps mit flachen Absätzen. Es gab sogar
ein Paar Ohrringe mit falschen Perlen. Alles stammte aus einem Outlet in
Fresno, und jedes Teil hatte einen kleinen Fehler – man sah etwas Klebstoff, wo
die falschen Perlen in ihre Metallschale eingepasst waren, und der Pullover
hatte ein Loch im Ärmel.
»Tut mir leid, dass es nichts Besonderes ist«, sagte David, als er
ins Zimmer kam, und erschreckte mich damit zu Tode. Ich berührte die liebevoll
ausgesuchten Kleidungsstücke. Bestimmt hatte er absurd ausgesehen in dem Laden,
als seine großen Gilgameschhände nach den glänzenden Schuhen und winzigen
weißen Baumwollhöschen griffen. Wärme floss wie eine mächtige Woge durch meinen
Körper. Ich stellte mir vor, wie er verloren in den Gängen voller Seide,
Reißverschlüssen und Knöpfen herumstand und mit alldem nicht das Geringste
anzufangen wusste. Sollte seine Freundin
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