Pink Hotel
so [226] aussehen? Perlen und knielange
Röcke? Oder dachte er, er hätte damit meinen Geschmack getroffen? Ich empfand
in diesem Augenblick etwas Ähnliches wie Hunger oder Verzweiflung. Im
Nachhinein war es Liebe, doch damals fühlte es sich an, als würde mir auf
einmal furchtbar schlecht. Ich konnte ihn nicht einmal ansehen.
»Sie gefallen dir nicht«, sagte er. »Tut mir leid.«
»Doch, sie gefallen mir.«
»Es ist nicht dein Stil«, stellte David fest.
»O doch«, sagte ich. »Er könnte es werden.«
Am Tag bevor David mir die neuen Klamotten kaufte, hatte er mir
einen Job als Skriptgirl für einen gewissen Sam besorgt, einen Mann mit dem
Gesicht eines frühzeitig kahl werdenden Kindes. Er war rundlich, hatte sanfte
Augen und trug T-Shirts in Übergröße, die mit Figuren aus Krieg
der Sterne oder Buffy – Im Bann der Dämonen bedruckt waren. David sagte, Sam komme aus einer wohlhabenden Familie, und ein
Teil des Geldes für seine letzten Filme stamme von seinem Onkel. Obwohl ich
keinerlei Erfahrung an Filmsets hatte, verließ Sam sich auf Davids Behauptung,
ich sei eine gute Beobachterin und könne den Job machen. Ich sollte bar bezahlt
werden.
»Schließ die Augen«, sagte David zu mir, kurz nachdem wir Sam in
einer Bar in Silver Lake getroffen hatten, deren Boden aus grob
zusammengenagelten Sperrholzplatten bestand. »Welche Farbe haben Sams Schuhe,
und trägt er einen Gürtel?«
»Er hat weiße Nikes an«, sagte ich lächelnd. »Der linke Schnürsenkel
schleift auf dem Boden. Er trägt [227] keinen Gürtel, was aber gar keine so
schlechte Idee wäre, weil man den Bund seiner Boxershorts sieht.«
»Welche Farbe haben seine Boxershorts?« David musste auch lachen.
»Blau«, antwortete ich. Ich spürte die Knöchel von Davids rechter
Hand, mit der er mir die Augen verdeckte, auf meiner Nase.
»Phantastisch«, sagte Sam lachend.
»Einfach großartig.«
»Sie hat eine bemerkenswerte Beobachtungsgabe«, sagte David. »Die
Idealbesetzung für den Job.«
»Woher kennt ihr beiden euch?«, fragte Sam.
»Aus Venice Beach«, sagte David.
»Deshalb lässt du dich wohl seit Wochen nicht mehr blicken. Machen
wir heute Abend einen drauf?«
»Ich muss arbeiten«, sagte David.
»Aber wo hast du die letzten zwei Monate gesteckt, Alter? Keiner hat
dich gesehen.«
»Hab ein wenig aufgeräumt in meinem Leben«, sagte David.
»Also, komm nächstes Wochenende mit uns nach Vegas, dann sorgen wir
wieder für ordentlich Chaos.«
»Ich bin bei den AA «, sagte David. Ich
sah ihn an. Er hatte mir nicht gesagt, dass er zu AA -Treffen
ging.
»Hoffentlich meinst du damit American Airlines oder die
Autoversicherung, Alter.«
»Keinen Alk mehr.«
»Keine Wochenenden mehr?«, fragte Sam, nahm kurz seine Mütze ab und
strich sich über die Halbglatze. »Nie wieder?«
[228] »Nicht, wenn zu den Wochenenden gehört, dass man sich zuschüttet
und in der Gosse wieder aufwacht. Ich will mich an meine zweite Lebenshälfte
erinnern können. Wär vielleicht mal ’ne nette Abwechslung.«
»Du bleibst heute Abend nicht mal auf einen Drink? Um auf den neuen
Job deiner Freundin anzustoßen?«
David hielt den Kopf schräg, ein klares »Nein«.
»Uns ist da mal ein Ding passiert«, sagte Sam grinsend. Er sah
zuerst David an, dann, mit einem frechen Zwinkern, mich: »Also: Wir sind auf
einer Sauftour in San José. Wir haben zwar seit vierundzwanzig Stunden nicht
mehr geschlafen, stehen aber unter Strom. Sind sozusagen auf Hochtouren. Auf
einmal fragen wir uns: Wo steckt David? Wir so: Alter, eben war er doch noch
da. Dann klingelt mein Handy, David ist dran und erzählt mir, er ist im
Schlafzimmer von irgendeiner Tussi in Mexiko aufgewacht.« Bei der Erinnerung
lächelte David ein wenig wehmütig, sah mich dann beunruhigt an, ob ich
vielleicht nachträglich eifersüchtig oder böse war. »Dieser Mann«, fuhr Sam mit
einem Nicken in Richtung David fort und ignorierte die peinliche Situation,
»ist der mit Abstand beste Typ, wenn man einen draufmachen will. Mit Abstand.«
»Ich will das eigentlich gar nicht wissen«, sagte ich ausdruckslos.
»Oho, kratzbürstig«, sagte Sam, blickte erst mich an und dann zu
David. »Sie hat dich also gebändigt, was? Stehst du jetzt unter ihrem
Pantoffel?«
»Gib endlich Ruhe, Mann. Kriegt sie nun
den Job?«
»Klar. Einem Kumpel schlägt man nichts ab.«
[229] Wie sich herausstellte, war ich ein sehr gutes Skriptgirl; nichts
entging mir. Zu diesem Job fiel mir Lilys Bemerkung ein, eine
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