Pink Hotel
sein, trotzdem gut geraten.«
»Ich bin ein krankes Arschloch.«
»Er war auch ein krankes Arschloch«, sagte ich.
»Vielen Dank«, sagte David.
»Jedenfalls wurde die Stute trächtig und gebar dem reichen Mann
einen Sohn, der zum heimlichen Augapfel – und der heimlichen Schuld – des
reichen Mannes wurde. Der reiche Mann nannte seinen Sohn Enkidu, nach der
Legende von Gilgamesch, und Enkidu wuchs zu einem tapferen, starken Knaben
heran, beinahe menschlich, wenn man davon absah, dass er auf allen vieren
herumlief und ausschließlich Milch und Heu zu sich nahm.«
»Du hast eine wirklich bizarre Phantasie«, sagte David und strich
mir übers Haar.
»Du machst mich verlegen«, sagte ich. Ich wusste nicht weiter.
»Jetzt wirst du nie erfahren, wie der reiche Mann seinen Sohn zivilisieren und
dem Reich der Tiere entreißen wollte.«
[266] »Tut mir leid, erzähl weiter.«
»Nein.«
»Sei nicht so zickig. Macht dich die Hitze sauer?«
»Ich bin nicht sauer«, sagte ich.
»Was wurde aus Enkidu?«
»Das verrate ich dir nicht«, sagte ich. »Warum bist du mir zum
Hostel gefolgt?«
»Ich bin dir nicht gefolgt. Ich kam nur zufällig vorbei, war gerade
unterwegs, um ein Foto von Mary Fodder zu schießen, wie sie aus dem
Fitnessstudio kam.«
»Was hast du gemacht, nachdem du mich
gesehen hast?«
»Ich habe das Foto von Mary Fodder bekommen. Dann bin ich
herumgefahren. Erzähl mir bitte von Enkidu«, sagte er.
»Nein«, sagte ich und drehte ihm den Rücken zu.
Aber ich konnte nicht einschlafen, und wir beide wälzten uns noch
eine Stunde lang im Bett herum, ehe wir wieder redeten. Als David mich berühren
wollte, schlug ich seine Hand weg. Eine weitere Stunde verging.
»Wenn du es dir selbst machst«, sagte David schließlich, immer noch
wie erschlagen von der absurd schwülen Luft und den rhythmischen Drehungen der
Ventilatoren, »denkst du dabei an mich?«
Ich sah ihn an. David schaute an die Decke, wo der Ventilator
Lichtklümpchen von der aufgehenden Sonne an die Wand warf.
»Natürlich«, log ich und dachte an die schemenhaften Fremden, die
meine Träume bevölkerten. Es war mir immer peinlich, Männer in Pornos zu sehen.
Sie wirken so [267] grotesk, dass es weh tut, mit ihren hervortretenden Muskeln,
aufdringlich wie ein Biologie-Schaubild – Thorax! Abdomen! Gluteus maximus! Und
diese eifrigen, so selbstzufrieden dreinblickenden Gesichter, die oben auf
verkrampften Schultern nicken wie einer dieser Wackeldackel auf den Armaturenbrettern
von Autos. Die Männer in meinen Träumen und Alpträumen sind viel
verschwommener: Sie haben fast keine Konturen, gleichen eher verblassten Erinnerungen
als jemandem, auf den David eifersüchtig sein müsste. Es ist seltsam, dass es
bei Pornos mit Frauen ganz anders ist und dass ich mich selbst in meinen
Träumen geradezu überdeutlich wahrnahm, bis hin zur Position meiner Beine und
dem Geschmack im Mund, aber ich sehe mir keine Männer in Pornos an, und die
Männer in meiner Phantasie sind Ideen, keine Personen.
»Wirklich?«, sagte David zufrieden. »Was
machen wir denn so?«
»So läuft das nicht«, sagte ich lachend und errötete im Dunkeln.
»Keine Ahnung. Gestern, als ich im Bad war, haben wir’s auf einer Waschmaschine
getrieben.«
»In deinem Kopf ist eine Waschmaschine? Wie häuslich. Bist du
gekommen?« Er lächelte. Ich liebte sein Lächeln.
»Na klar«, behauptete ich, verschwieg aber, dass ich in meiner
Phantasie während eines ganzen Waschgangs nackt auf der Maschine lag, die Hände
hinter dem Rücken gefesselt. Das war überhaupt nicht häuslich, nicht einmal
lustig. Der Hintergrund für diesen Tagtraum war ein Waschsalon in der Nähe von
Davids Büro, wo ich [268] immer mal wieder Lilys Klamotten gewaschen hatte,
während ich auf David wartete. Ich erzählte ihm auch nichts davon, was das
Problem bei meinen Phantasien war: dass sie sich häufig selbständig machten und
gar nicht damit endeten, dass ich mich selbst befriedigte. Oft ließen sie mich
auch verschmäht und verängstigt zurück. Wie in meinem Traum von dem Strand, wo
ich den Mund des Babys auswasche, während am Horizont jemand ertrinkt, fängt
alles völlig realistisch an, und am Ende bin ich ganz allein, in Tränen
aufgelöst und überhaupt nicht mehr erregt, sondern über meine eigene
Gedankenwelt erschrocken. Normalerweise weine ich nicht, das habe ich seit
Jahren nicht mehr getan, doch in meiner Vorstellung sehe ich mein zweites Ich
mit hässlich tränenfeuchtem Gesicht
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