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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Stothard
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ist. Auch wenn er mein
wahres Alter nicht kannte, hatte er dennoch Augen im Kopf. Er mochte Dinge über
Lily wissen, von denen ich nichts ahnte, und doch liebte ich ihn. Er drehte
sich zu mir um und sagte: »Ich könnte die Filmrolle aus grauer Vorzeit suchen,
die Fotos, die ich gemacht hab, als wir uns kennenlernten: eine am Strand
schlafende Diebin.«
    [273]  »Das ist gemein«, sagte ich. »Ich
könnte hässlich aussehen.«
    »Du siehst nie hässlich aus«, sagte er.
    »Lügner«, sagte ich.

[274]  34
    Das erste Set, auf dem ich mit Sam arbeitete, war die
Kulisse einer Vorortstraße, das zweite eine Zoohandlung in Korea Town. Im
vorderen Bereich des Ladens stapelten sich mit Spinnweben bemalte Plastikburgen,
künstlicher Algen und ranziger Kauknochen, dann kamen zwei lange Flure – den einen
säumten Aquarien mit Fischen und den anderen kläffende Hunde, die aussahen, als
würden sie jeden Moment tot umfallen, und die mit den Pfötchen an den
Glaswänden kratzten. Abend für Abend stiegen die Besitzer und ihre beiden Söhne
im Teenageralter eine Holzleiter empor auf einen schmalen Dachboden, wo sie auf
vier sauberen Futons schliefen, während wir drehten. Morgens, wenn das Licht
die Anschlüsse von Sams Aufnahmen zu ruinieren begann, stieg die Familie in
identischen blauen Schlafanzügen gähnend die Leiter hinunter, um in der Küche
Tee zu machen, wo sie auch täglich die Streu von zig Tierkäfigen erneuerten.
Das Kamerateam schien die Familie überhaupt nicht zu stören. Später erfuhren
wir, dass sie im Lauf der Jahre auch schon andere Filmcrews beherbergt hatten.
Nur in Los Angeles dient jeder Tante-Emma-Laden auch regelmäßig als Filmset.
    [275]  In diesem Teil der Stadt gab es offenbar jede Menge Verrückte,
die unsere nächtlichen Dreharbeiten anzulocken schienen. Der Laden lag
gegenüber einer Filiale von Kentucky Fried Chicken, die man in Form eines
riesigen, inzwischen schmutzigen KFC -Behälters
aus Beton an der North Western Avenue gebaut hatte. Wenn abends das Team
eintraf, predigten auf den Parkplätzen religiöse Eiferer den Märtyrertod,
während Koreaner in einen rund um die Uhr geöffneten Minimarkt rein- und wieder
rausschlichen. In dem Minimarkt roch es nach Spraydosen, und der Ladenbesitzer
hockte zur Sicherheit in einem Eisenkäfig. Neben dem Markt befand sich ein
Bräunungsstudio, vor dem ein kaputtes Neonschild hing, das wohl kaum viele
Kunden anlockte, und in dem Fenster darüber war eine Auslage mit lauter
staubigen Hochzeits- und Abschlussballkleidern von der Farbe getrockneten
Schleims.
    »Vielleicht ist in dem Bräunungsstudio eine Amphetaminküche untergebracht,
und gedealt wird über den Minimarkt«, meinte Sam an unserem ersten Drehabend,
als ich erwähnte, Bräunungsstudio und Kleiderladen könnten unmöglich Umsatz
machen. »Das würde mir einleuchten.«
    »Und der Kleiderladen?«, fragte ich.
    »Da wohnen sie«, sagte er, »und decken sich mit Hochzeitskleidern zu
und nehmen Schleier als Kissen.« Ich grinste ihn an. Ein oder zwei Jahre
später, als all das vorbei war, parkte ich in der Einkaufsstraße und warf einen
Blick in das Kleidergeschäft. Am Fenster hing ein Schild mit der Aufschrift
»Nur nach Voranmeldung«, [276]  und durch die staubige Scheibe sah ich eine Frau,
die gerade auf dem Ladentisch ihrem Baby die Windel wechselte. Ich hätte
schwören können, dass in der Auslage sogar noch dieselben Kleider hingen, also
hatte Sam vielleicht recht.
    An diesem Sommermorgen arbeiteten wir bis sieben Uhr. Sam fuhr mich
nach Hause, und als ich Davids Apartment aufschloss, war es gegen acht. Als Erstes
fiel mir auf, dass am Küchentisch ein Holzstuhl fehlte und dass die Küchenwände
zerschrammt waren und Farbe wie Konfetti nach unten rieselte. Die Vertiefungen
in der Wand waren gar nicht so groß, doch ich merkte, dass auch der
Laminatfußboden beschädigt war. Als ich eintrat, kam David gerade aus der
Dusche, und er roch so sauber wie ein Baby oder ein schamponierter Hund. Durch
das unordentlich wirkende Wohnzimmer ging ich ins Schlafzimmer. Ich küsste ihn
auf die Wange, doch er wandte sich von mir ab und fing an sich abzutrocknen,
mit dem Rücken zur Schlafzimmertür. Möglicherweise lag ein Hauch Alkohol in der
Luft, doch hauptsächlich roch ich Shampoo.
    »Wie war deine Nacht?«, fragte ich. Angesichts des Adrenalins, das
mir plötzlich zu Kopf stieg, klang meine Stimme relativ ruhig. Ich war seit
über einer Woche nicht im Serena gewesen, nicht seit wir den Kojoten

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