Pink Hotel
des Bioladens auftaucht und meine Nummer haben
will?«
»Klar.«
»Na schön«, sagte ich. »Nachdem ich die K.-o.-Zigarette geraucht
habe und in den Kofferraum des Wagens verfrachtet worden bin, überfällt ein
durchgedrehter Pirat aus dem Dschungel mit Zähnen aus massivem Gold die Kneipe
und schießt sämtliche Leute darin nieder. Er tötet den alten Mann, den Barkeeper
und meinen imaginären Freund, und das alles wegen eines kleinen Fernsehers und
umgerechnet zwölf Dollar fünfzig in bar.«
»Da man annimmt, dich hätte das gleiche Schicksal ereilt, sucht
keiner nach dir.«
»Nach mir würde sowieso keiner suchen.«
»Natürlich würde man das«, widersprach David. »Ich würd’s tun.«
»Ein Kuriosum am Rande«, fuhr ich fort, ohne auf seine Bemerkung
einzugehen, »wenn es auch nicht direkt zum Thema gehört: Der Pirat schlief an
diesem Abend mit seiner Frau und zeugte ein Kind, das zwanzig Jahre später beim
Hundert-Meter-Lauf eine Bronzemedaille gewinnen wird.«
»Hm. Aber was war mit den Banditen?«
»Das Bett, in dem ich aufwache, ist schmuddelig und riecht schwach
nach Pisse und Schimmel. Auch ich selbst bin schmutzig, schlimmer als vor der
Ohnmacht. In den Furchen meines Nabels gibt es wahre Ökosysteme aus
Dschungeldreck, und in den Hautfalten unter meinen Armbeugen klebt getrockneter
Schweiß. Mein kurzes blondes Haar ist ein Helm aus Fett und Schmutz, der [259] sich
bei jeder Berührung ölig und spröde zugleich anfühlt. Selbst meine Haut ist
eine Spur dunkler.«
»Du machst mich ganz spitz«, sagte David.
»›Ölig und spröde‹ macht dich an?«
»Nein«, sagte er lachend.
»Schmutzig?«
»Ja.«
»Du bist so berechenbar«, sagte ich.
»Alle Männer sind berechenbar«, sagte er und küsste mich.
[260] 32
David und ich gingen von seinem rund um die Uhr geöffneten
Lieblings-Thai-Restaurant nach Hause. Es war gegen Mitternacht, windstill, und
es roch nach Smog und Feuer. Auf einem Balkon irgendwo über unseren Köpfen schrie
ein Baby, und in der Ferne heulte ein Automotor auf. Aus einer Tür in der Nähe
drang Musik; Autos fuhren auf der Hauptstraße vorbei. ›Melodiös‹, dachte ich.
Wir bogen in die Straße ein, in der David wohnte, und sahen vor dem Tor sofort
einen dürren Kojoten, der halb im grellen Licht einer Straßenlaterne und halb
im Dunkeln stand. Er hatte das Maul gerade zu einem gewaltigen Gähnen aufgerissen,
als er uns sah. Mitten in der Bewegung erstarrte er, den kräftigen Rücken
gewölbt, eine knubblige graue Pfote vorgestreckt. Eine Weile verharrte er reglos,
mit zitternden Schnurrhaaren und angelegten Ohren. Sein Schwanz war halb
abgetrennt, bloß noch ein Stumpf, doch das war das einzig Plumpe an dem Tier.
Die Sekunden verrannen. Schließlich verlagerte er sein Gewicht auf die
Vorderpfoten und präsentierte uns mit einem unterdrückten Seufzer seinen
Brustkorb. Dann wich er aus dem Lichtkegel der Laterne zurück. Ich musste dabei
an einen Balletttänzer denken, der aus dem Scheinwerferlicht tritt, [261] oder an
einen widerwillig abziehenden Dieb in einer Pantomime.
»Wir haben ihn beim Gähnen gestört«, sagte David leise. Keiner von
uns beiden rührte sich, bis wir ein Rascheln im Gebüsch hörten, mit dem der
Kojote wieder im Unterholz verschwand. Die Kojoten waren durch die Brände aus
den Hügeln vertrieben worden und machten sich wie gewöhnliche Füchse über Mülltonnen
her.
»Wie sieht deine Hitliste aus?«, fragte David, »Orgasmen, Eiskrem
oder Gähnen? Was meinst du?«
»Unmöglich zu entscheiden«, ich lächelte ihn an, merkte aber im selben
Moment, dass mich jemand beobachtete. Ich drehte mich von David weg, und tatsächlich,
am Ende der Straße sah ich den Mann mit der Schlägervisage, dem goldenen
Nasenpiercing und der Schuljungenfrisur. Ich machte einen Schritt nach vorn,
doch da war er schon weg.
»He!«, rief ich dem Mann hinterher.
»He!«
»Was ist los?«, fragte David, erschrocken über meinen plötzlichen
Ausbruch, und sah sich auf den leeren Straßen um. »Psst… «
»Hast du den Mexikaner gesehen?«
»Wen?«, wollte er wissen und schaute zum Ende der Straße, wohin mein
Finger zeigte.
»Den Typen, der gerade um die Ecke gebogen ist? Das war derselbe,
der meinen Rucksack geklaut hat.«
»Echt?«, sagte David ungläubig.
»Ja«, sagte ich. Wir rannten los in Richtung Kreuzung, doch
natürlich sahen wir den Mann nicht mehr, nur die United Methodist Church an der
Ecke, die [262] einem Fabrikgebäude glich. Wir sahen
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