Pink Hotel
täglich so
hingebungsvoll reinigte, der Flachbildfernseher, die Pfanne, in der ich ihm
Rührei gebraten hatte – alles weg. Es fanden sich nur noch indirekte Spuren
seiner Habseligkeiten: Abdrücke auf dem Teppichboden, wo seine Möbel gestanden
hatten, was deren Abwesenheit nur noch deutlicher betonte, helle Rechtecke an
den Wänden, wo seine Fotos gehangen hatten, umgeben von verblichenem Weiß. So
völlig leer sah die Wohnung viel größer und die Auslegeware viel hässlicher
aus. In den staubigen Ecken fand ich rote Flusen von seinem Teppich,
Büroklammern, Haarklemmen und Gummiringe. Auch das Schlafzimmer war leer, genau
wie das Bad. Er war weg. In Luft aufgelöst.
Ich stellte mich dorthin, wo der Küchentisch gewesen war, und bückte
mich, um die Schrammen im Laminatfußboden und an der Wand zu berühren, wo David
offenbar vor einer Woche seine Wut an einem Stuhl ausgelassen hatte, als er sie
eigentlich an mir hätte auslassen sollen. Die Abdrücke im Boden sahen wie
Grübchen aus, die Spuren an den Wänden wie Narben auf sehr blasser Haut. Ich
ging zur Spüle und nahm einen Schluck Wasser aus dem vertrauten Hahn. Ich
benutzte die Hände, weil es weder Becher noch Tassen gab. Ohne zu warten, bis
sich das Wasser abgekühlt hatte, schlürfte ich es lauwarm von meiner immer noch
leicht säuerlich, nach Krankenhaus und Krankheit schmeckenden Haut. [291] Ich
erinnere mich nicht, dass ich einschlief, auf dem plattgedrückten Stück Teppichboden,
wo das Klappsofa gestanden hatte. Ich schlief traumlos, keine Tiere, kein
Staub, keine Sonnenuntergänge.
»Verzeihung«, sagte eine Stimme. Ich öffnete die Augen. Die Stimme
gehörte Yuri, dem armenischen Hausmeister, der mit über dem Bauch verschränkten
Armen in der Tür stand, die Kopfhörer wie üblich nur halb über den Ohren.
Komisch, dass er immer möglichst weit weg von anderen Menschen stand. Umso
besser konnte ich seine Umrisse wahrnehmen – das zu kurze T-Shirt über dem
Bauch, die O-Beine und die hängenden Schultern. Ich rieb mir die Augen und setzte
mich auf, immer noch an der Stelle, wo das Sofa sein sollte.
»Was ist passiert?«, fragte ich schlaftrunken.
»Wie, äh, meinen Sie das?«
»Wo ist er?«, präzisierte ich, während ich mich unter Yuris Blick aufrappelte.
Womöglich sah ich ein wenig wüst aus, denn Yuri zuckte zusammen und machte
einen Schritt zurück, als ich einen nach vorn machte. Er glich einem der
verschreckten kleineren Jungs, die uns früher auf dem Fußballplatz in Swiss
Cottage zugesehen hatten, zu ängstlich, um mitzuspielen.
»Wo ist er hin?«, fragte ich.
»Ich glaube«, sagte Yuri, »er ist ausgezogen.«
»Sieht ganz so aus«, gab ich zurück und schnitt eine Grimasse. »Wann
war das? Und wo ist er jetzt?«
Ein hilfloses Achselzucken. »Ich weiß nicht«, sagte Yuri. »Er hat
keine Nachsendeadresse hinterlassen. Ich weiß es nicht.«
[292] »Er kann doch nicht einfach… verschwunden sein«, sagte ich.
»Wann?«
»Vor drei Tagen«, sagte Yuri.
»Vor drei Tagen«, wiederholte ich. Etwas Schreckliches musste
geschehen sein. Ganz egal, wie wütend er war, wenn er gewusst hätte, dass ich
im Krankenhaus lag, wäre er nicht einfach gegangen. Da war ich mir ganz sicher.
Ich klang kein bisschen weinerlich, aber Yuri sah aus, als beobachte er, wie zu
seinen Füßen eine Halskette kaputtging und die Einzelteile überall
herumkullerten. Er blickte direkt auf seine Turnschuhe, nicht zu mir.
»Er hat aber Ihre Sachen dagelassen«, sagte Yuri und wies auf ein
paar Supermarkttüten in der Ecke. Ich hasse es, wenn die Stimme in deinem Kopf
dir ein ganz anderes Bild von dir vorgaukelt als das, was du tatsächlich
darstellst. Ich fand, wie ich da in dem leeren Apartment stand, dass ich
vielleicht ein wenig verwildert aussah, ein wenig zerknittert, als mein Blick
auf die Einkaufstüten mit Klamotten fiel. Ich fand, dass ich gefasst und
vielleicht genau angemessen bedauernswert aussah, doch in Wahrheit wirkte ich
wahrscheinlich eher wie eine dieser streunenden Katzen, die nachts mit räudigem
Fell um die Mülltonnen streichen. Haut und Haare waren stumpf, mein Körper
beängstigend mager, die Lippen aufgesprungen, und ich hielt mich an der Wand
fest, als würde ich jeden Moment auf die Knie sacken und mein Leben aushauchen.
Für einen Moment war mir zum Lachen, als ich die Tüten mit den
ordentlich gefalteten Kleidungsstücken [293] betrachtete, doch die falsche
Belustigung blieb mir wie ein Aufstoßen im Hals stecken und wurde
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