Pippi Langstrumpf
er, daß er etwas Feineres und Besseres sei als die Menschen in der kleinen, kleinen Stadt.
Nun war es ja aber auch so, daß er ein mächtig feines Auto hatte und daß er selbst so ein prächtiger Herr war mit blanken Schuhen und einem dicken, goldenen Ring am Finger. Da war es vielleicht nicht so merkwürdig, wenn er glaubte, daß er 196
etwas äußerst Feines und Vornehmes sei. Er tutete heftig mit seiner Autohupe, als er durch die Straßen der kleinen Stadt fuhr, damit die Leute hören sollten, daß er käme.
Als dieser feine Herr die Schilder sah, verzog sich sein Mund zu einem breiten Grinsen.
„Zum Heimatmuseum – nein, danke“, sagte er zu sich selbst.
„So weit geht meine Vergnügungssucht nicht.“ – „Zum Steinhügel“, las er auf einem anderen Schild. „Das wird ja immer besser!“
„Aber was in aller Welt sind das hier für Albernheiten“, sagte er, als er das dritte Schild erblickte. „Zur Villa Kunterbunt – so ein Name!“
Er überlegte eine Weile. Eine Villa konnte ja nicht gut eine Sehenswürdigkeit sein wie ein Heimatmuseum und ein Steinhügel. Das Schild mußte aus einem anderen Grunde angebracht worden sein, dachte er. Schließlich fand er eine gute Erklärung. Die Villa war natürlich zu verkaufen. Das Schild war angebracht worden, um den Leuten, die die Villa vielleicht kaufen wollten, den Weg zu zeigen. Der feine Herr hatte schon oft daran gedacht, sich ein Haus in irgendeiner kleinen Stadt zu kaufen, wo es nicht so geräuschvoll war wie in der Großstadt. Er würde natürlich nicht immer da wohnen, aber hin und wieder könnte er hinfahren, um sich auszuruhen. In einer kleinen Stadt konnte man auch viel besser merken, was für ein besonders feiner und vornehmer Mann er eigentlich war. Er beschloß, sofort hinzufahren und sich die Villa Kunterbunt anzusehen.
Man brauchte nur der Richtung des Pfeiles zu folgen. Er mußte bis zum äußersten Ende der kleinen Stadt fahren, bis er das fand, was er suchte. Und da, an einem sehr verfallenen Gartenzaun, stand mit Rotstift:
VILLA KUNTERBUNT
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Hinter dem Zaun lag ein verwilderter Garten mit alten moosbedeckten Bäumen und ungeschnittenen Rasenflächen und einer Menge Blumen, die wuchsen, wie und wo sie Lust hatten. Ganz hinten im Garten stand ein Haus – ach, ach, was war das für ein Haus! Es sah aus, als ob es jeden Augenblick zusammenfallen wollte. Der feine Herr starrte das Haus an, und plötzlich fing er an zu stöhnen: Da stand ein Pferd auf der Veranda! Und der feine Herr war es nicht gewohnt, daß Pferde auf Veranden umherstanden. Und deswegen hatte er gestöhnt.
Auf der Verandatreppe, mitten in der strahlenden Sonne, saßen drei Kinder. Das, welches in der Mitte saß, war ein Mädchen mit vielen Sommersprossen im Gesicht und zwei roten Zöpfen, die vom Kopf abstanden. Ein reizendes, blondhaariges kleines Mädchen in einem blaukarierten Kleid und ein wohlfrisierter kleiner Junge saßen rechts und links von ihr. Und auf der Schulter des rothaarigen Mädchens saß ein Affe.
Der feine Herr überlegte. Er mußte wohl an die falsche Stelle gekommen sein. Es konnte doch wohl niemand auf die Idee kommen, so ein verfallenes Haus zu verkaufen!
„Hört mal, Kinder“, rief er, „ist diese schäbige Bude hier wirklich die Villa Kunterbunt?“
Das Mädchen in der Mitte, das mit den roten Haaren, stand auf und ging zum Gartenzaun. Die beiden anderen kamen langsam hinterher.
„Bist du auf den Mund gefallen?“ fragte der feine Herr, bevor das rothaarige Mädchen herangekommen war. „Ist diese Baracke nun wirklich die Villa Kunterbunt?“
„Ich muß mal nachdenken“, sagte das rothaarige Mädchen und runzelte nachdenklich die Stirn. „Heimatmuseum – nein!
Steinhügel – nein! Jetzt hab’ ich’s!“ schrie sie. „Es ist die Villa Kunterbunt!“
„Kannst du nicht ordentlich antworten?“ sagte der feine Herr und stieg aus dem Auto. Er wollte für alle Fälle die Sache 198
etwas näher betrachten.
„Man könnte natürlich die Bude niederreißen und eine neue bauen“, murmelte er für sich selbst.
„Ach ja, wir wollen sofort anfangen“, rief das rothaarige Mädchen und riß ein paar Bretter aus dem Hausgiebel fort.
Der feine Herr hörte nicht auf sie. Er interessierte sich überhaupt nicht für kleine Kinder, und außerdem hatte er jetzt etwas zum Nachdenken. Der Garten sah trotz seines Verfalls richtig einladend und nett aus, wie er da so in der Sonne lag.
Wenn man ein neues Haus baute, den Rasen
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