Pippi Langstrumpf
Hamburger Druckereigesellschaft Kurt Weltzien K. G. Hamburg
Printed in Germany
Inhalt
Buch I: Pippi in der Villa Kunterbunt
Buch II: Pippi geht an Board
Buch III: Pippi in Taka-Tuka-Land
PIPP I in der Villa Kunterbunt
Pippi zieht in die Villa Kunterbunt ein
Außerhalb der kleinen, kleinen Stadt lag ein alter verwahrloster Garten. In dem Garten stand ein altes Haus, und in dem Haus wohnte Pippi Langstrumpf. Sie war neun Jahre alt, und sie wohnte ganz allein da. Sie hatte keine Mutter und keinen Vater, und eigentlich war das sehr schön, denn so war niemand da, der ihr sagen konnte, daß sie zu Bett gehen sollte, gerade wenn sie mitten im schönsten Spiel war, und niemand, der sie zwingen konnte, Lebertran zu nehmen, wenn sie lieber Bonbons essen wollte.
Früher hatte Pippi mal einen Vater gehabt, den sie schrecklich geliebt hatte. Ja, sie hatte natürlich auch eine Mutter gehabt, aber das war so lange her, daß sie sich gar nicht mehr daran erinnern konnte. Die Mutter war gestorben, als Pippi noch ein ganz kleines Ding war, das in der Wiege lag und so furchtbar schrie, daß es niemand in der Nähe aushaken konnte. Pippi glaubte, daß ihre Mutter nun oben im Himmel sei und durch ein kleines Loch auf ihr Kind runterschaue, und Pippi winkte oft zu ihr hinauf und sagte:
„Hab keine Angst um mich! Ich komme schon zurecht!“
Ihren Vater hatte Pippi nicht vergessen. Er war Kapitän und segelte auf den großen Meeren, und Pippi war mit ihm auf seinem Schiff gesegelt, bis er einmal während eines Sturmes ins Meer geweht wurde und verschwand. Aber Pippi war ganz sicher, daß er eines Tages zurückkommen würde. Sie glaubte überhaupt nicht, daß er ertrunken sein könnte. Sie glaubte, daß er auf eine Insel geschwemmt worden war, wo viele Neger wohnten, und daß ihr Vater König über alle Neger geworden war und alle Tage mit einer goldenen Krone auf dem Kopf umherging.
„Mein Vater ist ein Negerkönig. Es gibt wahrhaftig nicht viele Kinder, die so einen feinen Vater haben!“ pflegte Pippi sehr stolz zu sagen. „Und wenn mein Vater sich nur ein Schiff bauen kann, dann kommt er und holt mich, und dann werde ich eine Negerprinzessin. Hei hopp, was wird das für ein Leben!“
Ihr Vater hatte dieses alte Haus, das im Garten stand, vor vielen Jahren gekauft. Er hatte gedacht, daß er dort mit Pippi wohnen würde, wenn er alt war und nicht mehr auf dem Meer segeln konnte. Aber dann passierte ja das Dumme, daß er ins Meer geweht wurde, und während Pippi darauf wartete, daß er zurückkam, begab sie sich geradewegs nach Hause in die Villa Kunterbunt. So hieß dieses Haus. Es stand möbliert und fertig da und wartete auf sie. An einem schönen Sommerabend hatte sie allen Matrosen auf ihres Vaters Schiff Lebewohl gesagt. Sie hatten Pippi sehr gern, und Pippi hatte sie auch gern.
„Lebt wohl, Jungens“, sagte Pippi und gab ihnen allen der Reihe nach einen Kuß auf die Stirn. „Habt keine Angst um mich. Ich komme schon zurecht.“
Zwei Dinge nahm sie vom Schiff mit. Einen kleinen Affen, der Herr Nilsson hieß, und einen großen Handkoffer, voll mit Goldstücken, den hatte sie von ihrem Vater bekommen. Die Matrosen standen an der Reling und schauten Pippi nach, solange sie sie sehen konnten. Sie ging mit festen Schritten, ohne sich umzudrehen, mit Herrn Nilsson auf der Schulter und dem Koffer in der Hand.
„Ein merkwürdiges Kind“, sagte einer der Matrosen und wischte sich eine Träne aus dem Auge, als Pippi in der Ferne verschwunden war.
Er hatte recht. Pippi war ein sehr merkwürdiges Kind. Das allermerkwürdigste an ihr war, daß sie so stark war. Sie war so furchtbar stark, daß es in der ganzen Welt keinen Schutzmann gab, der so stark war wie sie. Sie konnte ein ganzes Pferd hochheben, wenn sie wollte. Und das wollte sie. Sie hatte ein eigenes Pferd, das sie für eines ihrer vielen Goldstücke gekauft hatte, an demselben Tage, an dem sie heimgekommen war. Sie hatte sich immer nach einem eigenen Pferd gesehnt. Und jetzt wohnte es auf der Veranda. Aber wenn Pippi ihren Nachmittagskaffee dort trinken wollte, hob sie es ohne weiteres in den Garten hinaus.
Neben der Villa war ein anderer Garten und darin ein anderes Haus. In dem Haus wohnten ein Vater und eine Mutter mit ihren beiden netten Kindern, einem Jungen und einem Mädchen. Der Junge hieß Thomas und das Mädchen Annika. Das waren zwei sehr liebe, wohlerzogene und artige Kinder. Niemals biß Thomas an seinen Nägeln, immer tat er das, was ihm seine
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