Pippi Langstrumpf
glaubten, daß es auch in ihrem Hause anfangen könnte zu brennen. Überall hörte man Geschrei.
Auf dem Marktplatz vor dem Wolkenkratzer sammelten sich eine Menge Menschen, und die Polizei versuchte, sie auseinanderzutreiben, damit das Feuerwehrauto herankommen konnte. Aus den Fenstern des Wolkenkratzers schlugen lodernde Flammen, und die Feuerwehrmänner waren von Rauch und Funken umhüllt. Aber sie gingen mutig daran, das Feuer zu löschen.
Das Feuer hatte im Erdgeschoß begonnen, aber es verbreitete sich schnell bis in die oberen Stockwerke. Da bekamen die Menschen, die auf dem Marktplatz versammelt waren, plötzlich etwas zu sehen, was sie vor Schreck aufschreien ließ. Ganz hoch oben im Hause befand sich eine Stube, in deren Fenster, das gerade von einer kleinen Kinderhand geöffnet wurde, zwei kleine Jungen standen und um Hilfe riefen.
„Wir können nicht rauskommen, denn es hat jemand Feuer auf der Treppe angemacht!“ schrie der größere.
Er war fünf Jahre alt, und sein Bruder war ein Jahr jünger. Ihre Mutter war ausgegangen, und nun standen sie ganz allein da oben. Viele Menschen auf dem Marktplatz fingen an zu weinen, und der Feuerwehrhauptmann sah besorgt aus. Es war allerdings eine Leiter an dem Feuerwehrauto, aber sie reichte bei weitem nicht so hoch hinauf. Ins Haus hineinzugehen, um die Kinder zu holen, war unmöglich.
Die Menschen auf dem Marktplatz wurden von Verzweiflung ergriffen, als ihnen klar wurde, daß man den Kindern nicht helfen konnte. Und die armen kleinen Wesen standen da oben und weinten. Es konnte nur wenige Minuten dauern, bis das Feuer die Dachstube erreicht hatte.
Mitten unter den Menschen auf dem Marktplatz saß Pippi auf ihrem Pferd. Sie schaute interessiert das Feuerwehrauto an und überlegte, ob sie sich auch eins kaufen sollte. Es gefiel ihr so gut, weil es rot war und weil es so einen Lärm gemacht hatte, als es durch die Straßen fuhr. Dann sah sie in das prasselnde Feuer, und sie fand es schön, wenn ein paar Funken auf sie fielen.
Schließlich bemerkte sie auch die beiden Jungen in der Dachstube. Zu ihrem Erstaunen schienen sie die Feuersbrunst nicht besonders spaßig zu finden. Das war mehr, als sie verstehen konnte, und schließlich fragte sie die Leute, die neben ihr standen:
„Warum schreien die Kinder?“
Zuerst bekam sie nur Schluchzen zur Antwort, aber schließlich sagte ein dicker Herr:
„Ja, was denn? Glaubst du nicht, daß du auch schreien würdest, wenn du da oben ständest und nicht runter könntest?“
„Ich schreie niemals“, sagte Pippi. „Aber wenn sie durchaus runterkommen wollen, warum hilft ihnen niemand?“
„Deswegen, weil es nicht geht“, sagte der dicke Herr.
Pippi überlegte eine Weile.
„Kann jemand ein langes Seil beschaffen?“ fragte sie.
„Was soll das für einen Zweck haben“, sagte der dicke Herr. „Die Kinder sind zu klein, um an einem Seil herunterzuklettern. Und wie willst du überhaupt das Seil zu ihnen hinauf kriegen?“
„Oh, man ist doch auf dem Meer gesegelt“, sagte Pippi ruhig. „Ich will ein Seil haben.“
Keiner glaubte, daß es einen Zweck hätte, aber wie dem auch sei – schließlich bekam Pippi ein Seil.
In der Nähe des Hauses stand ein hoher Baum. Die Krone des Baumes war ungefähr in gleicher Höhe wie das Fenster der Dachstube. Aber zwischen Baum und Fenster war ein Abstand von mindestens drei Metern. Und der Baumstamm war glatt und ganz ohne Zweige, auf die man hätte treten können. Nicht einmal Pippi hätte hinaufklettern können.
Das Feuer brannte, die Kinder in der Dachstube schrien, und die Menschen auf dem Marktplatz weinten.
Pippi stieg vom Pferd und ging zu dem Baum hin. Dann nahm sie das Seil und band es an Herrn Nilssons Schwanz fest.
„Jetzt sollst du Pippis braver Junge sein“, sagte sie. Sie setzte ihn auf den Baumstamm und gab ihm einen kleinen Puff. Er verstand sehr gut, was er tun sollte. Und er kletterte gehorsam am Baumstamm hoch. Für einen Affen war das ja keine Kunst.
Alle Menschen auf dem Marktplatz hielten den Atem an und schauten auf Herrn Nilsson. Bald hatte er die Baumkrone erreicht. Da saß er auf einem Zweig und schaute zu Pippi herunter. Sie winkte ihm, daß er wieder herunterkommen sollte. Das tat er, aber er kletterte auf der anderen Seite herunter, so daß, als Herr Nilsson wieder unten ankam, das Seil oben quer über den Zweigen lag und jetzt doppelt, mit beiden Enden unten auf der Erde, herunterhing.
„Du bist so klug, Herr Nilsson, daß du
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