Pirat des Herzens
Sohn!« Entsetzt blickte sie zur Hebamme, die mit dem Kind im Arm aus der Kammer huschte. »Mein Sohn! Gebt mir meinen Sohn!«
»Katherine, bitte hör mir zu!« versuchte Hawke sie zu beschwichtigen.
»Nein!« kreischte Katherine, warf die Bettlaken beiseite und sprang aus dem Bett. Sie mußte sich festhalten, um das Schwindelgefühl zu überwinden. Eine grauenhafte Panik krallte sich um ihr Herz. »Du hast gelogen! Du hast gelogen! Ich will meinen Sohn!«
»Ich habe nicht gelogen, aber meine Pläne zählen nicht mehr«, antwortete Hawke bitter. »Es ist der Wille der Königin, das Kind in ihre Obhut zu nehmen, aus Gründen, die sie mir nicht nannte.«
Katherine starrte ihn mit irrem Blick an.
»Ich mußte meine Einwilligung geben«, fuhr Hawke leise fort. Dann senkte er verlegen den Blick. »Ich stehe im Dienst der Königin, Katherine. Ich konnte ihren Befehl nicht verweigern.«
Katherine schrie gellend. Das nackte Grauen brach über ihr zusammen. »Sie nimmt mir mein Kind weg? Und du läßt es zu? Das kannst du mir nicht antun!«
Katherine schrie und schluchzte, krümmte sich vor Schmerz, einem Seelenschmerz, der unvergleichlich qualvoller war als der körperliche Schmerz der Geburtswehen. Dann richtete sie sich mit vor Angst und Schmerz verzerrtem Gesicht auf und starrte Hawke mit irrsinnig flackernden Augen an. »Ich will meinen Sohn!« schrie sie heiser. »Gib mir meinen Sohn zurück!«
»Ich kann nicht«, entgegnete Hawke, und nach kurzem Zögern setzte er leise hinzu: »Es tut mir leid.« Damit wandte er sich ab und verließ die Kammer.
Katherine rang nach Luft, taumelte; Juliet fing sie auf, bevor sie zu Boden stürzte.
»Laß mich los!« kreischte Katherine. »Laß mich los, sie nehmen mir mein Kind weg! Hilf mir, lieber Gott! Hilf mir, bitte!«
Tränen strömten ihr übers Gesicht. Juliet hielt sie fest. »Katherine, Liebste! Bitte, beruhige dich! Du kannst nichts dagegen tun.«
Katherine achtete nicht auf sie. Mit übermenschlicher Kraft riß sie sich von Juliet los, taumelte zur Tür. Es kostete sie unendliche Anstrengung, die schwere Eichentür zu öffnen. Sie torkelte auf den Flur, klammerte sich an der Balustrade fest. »Ginny! Komm zurück! Ginny! Hilfe! Sie nehmen mir mein Kind!«
Doch niemand antwortete auf ihre Schreie. Katherine brach zusammen, zerkratzte die Holzdielen mit blutigen Fingernägeln und stöhnte wie ein verwundetes Tier.
Die grüne Moorlandschaft war mit gelben und weißen Blüten übersät. Darüber spannte sich ein strahlend blauer Himmel. Doch Hawke hatte keinen Blick für den prachtvollen Frühlingstag. Er hörte nur Katherines Schreie, nicht ihre Schreie bei der Geburt, sondern die Schreie der wahnsinnigen Mutter, als er der Hebamme befahl, das Kind wegzubringen.
Im Hof standen gesattelte Pferde und Soldaten sowie eine geschlossene Kutsche für die Amme und das Neugeborene bereit. Elisabeth hatte befohlen, Hawke solle das Kind persönlich nach London bringen. Die Königin hatte mehrmals betont, wie wichtig die Sicherheit des Kindes sei.
Hawke fühlte sich hundeelend. Seine Frau liebte diesen O’Neill über alles. Heute hatte Hawke endlich begriffen, daß sie bis zu ihrem Tod um ihren Geliebten trauern würde. Möglicherweise würde sie Hawke eine brave Ehefrau sein, nie wieder den Namen des Piraten erwähnen, Hawke den Haushalt führen, ihm das Bett wärmen, ihm sogar ein halbes Dutzend Söhne schenken, aber sie würde niemals aufhören, Liam O’Neill zu lieben.
Und er nahm ihr das Kind weg, das sie von dem Geliebten hatte. Bitterer Gallegeschmack sammelte sich in seinem Mund. Einer Mutter das Kind aus den Armen zu reißen war ein abscheuliches Verbrechen. Ein Verbrechen, das er kein zweites Mal begehen würde - auch nicht für seine Königin.
»Wie konntet Ihr das nur tun!«
Hawke fuhr herum und blickte in das wütende Gesicht eines Engels. »Ich hielt Euch für einen anständigen, edlen Mann. Doch was Ihr getan habt, ist eine ungeheure Abscheulichkeit!« rief Juliet zornentbrannt.
Ihre Anschuldigungen trafen ihn wie Dolchstiche. »Ich durfte mich der Königin nicht widersetzen!« verteidigte er sich.
»O doch, das dürft Ihr!« rief sie.
»Ihr versteht das nicht!«
»Ich verstehe sehr wohl«, entgegnete Juliet bitter. »Und ich weiß, daß ich mich in Euch getäuscht habe. Ihr seid kein Edelmann. Ihr seid eifersüchtig, weil Katherine einen anderen Mann liebt. Vielleicht habt Ihr diese Untat schon länger geplant!« Wütend ballte sie die
Weitere Kostenlose Bücher