Pirat des Herzens
vor Zorn.
Elisabeth trat einen Schritt vor. »Robin, nehmt Eure Hände von ihr!«
Dudley ließ zögernd die Hände sinken.
Die Königin durchbohrte Katherine mit ihren dunklen Augen. »Ihr wagt es, Forderungen an Uns zu stellen?«
»Sie ist außer sich wegen des Kindes. Sie weiß nicht, was sie redet«, versuchte Ormond zu beschwichtigen.
»Schweigt!« befahl die Königin. Und alle Anwesenden zuckten vor Schreck zusammen.
Katherine tastete nach dem Dolch unter ihren Rücken. Mörderischer Zorn kochte in ihr, seit die Königin ihr das Kind weggenommen hatte. »Ihr habt mein Kind gestohlen wie eine gewöhnliche Diebin«, schrie Katherine anklagend. »Wissen das Eure Höflinge etwa nicht?« Sie lachte schrill. »Warum denn nicht, Hoheit? Darf Euer Hofstaat nicht wissen, wer Ihr in Wahrheit seid? Eine Kindsentführerin - eine Diebin unschuldiger Kinder!«
Den Anwesenden verschlug es den Atem. Auf den Wangen der Königin bildeten sich rote Flecken. Ormond war totenbleich geworden. »Unverschämte Person!« zischte die Königin. »Schafft sie mir aus den Augen. Werft sie ins Gefängnis von Bridewell - wohin alle Huren gehören!«
Soldaten traten vor. Doch Katherine war nicht in den Palast gekommen, um in den Kerker zu Huren und Vagabunden geworfen zu werden. Sie bückte sich, raffte die Röcke und nestelte nach dem Dolch.
Instinktiv hielt Leicester ihren rechten Arm fest. »Tut es nicht!« warnte er entsetzt.
Katherine schüttelte ihn ab und zog den Dolch unter den Röcken hervor. Gleichzeitig näherten sich fünf Soldaten mit Ormond an der Spitze. Verschwommen nahm Katherine wahr, daß man sie von dem abhalten wollte, was sie tun mußte. Das bestärkte nur ihren Entschluß.
Ormond erkannte ihre Absicht. »Nein, Katherine«, warnte er und stürmte auf sie zu.
Leicester versuchte, ihr Handgelenk zu fassen. Doch in ihrem irrsinnigen Zorn entschlüpfte Katherine dem Zugriff der Männer und zückte die Klinge.
»Sie hat ein Messer! Sie will mich umbringen!« kreischte die Königin.
Es entstand ein heilloser Tumult. Elisabeth wich zurück, ihre Berater stellten sich schützend vor sie, während ein Dutzend Soldaten sich auf die Attentäterin stürzte. Plötzlich bekam Katherine Angst. Leicester schob sie in die Richtung, aus der sie gekommen war. »Flieh, Katherine!«
Und Katherine wirbelte herum und stürmte los, vorbei an Ormond, der keine Anstalten machte, sie aufzuhalten. Im Gegenteil, er breitete die Arme aus und hielt die Soldaten einige Sekunden ab, ihr zu folgen.
»Sie ist wahnsinnig!« kreischte die Königin im Kreis der Männer, die sich schützend um sie scharten. »Die Person ist wahnsinnig! Ergreift sie!«
Die Soldaten zückten die Waffen und stürmten los. Katherine rannte den Korridor entlang, schwere Stiefel polterten hinter ihr her.
Mit einem hastigen Blick über die Schulter erkannte sie entsetzt, daß einer der beiden Männer, die ihr bedrohlich nahegekommen waren, kein anderer war als ihr Gemahl John Hawke.
Sie war verloren. In der nächsten Sekunde würde einer der beiden zugreifen. Selbst wenn sie sich mit der Waffe wehrte, würde man sie überwältigen. Und dann würde man sie ins Gefängnis von Bridewell werfen, wo die Huren eingelocht waren. Von dort gab es kein Entrinnen. Sie würde ihr Kind nie Wiedersehen.
Katherine glaubte, jede Sekunde eine schwere Soldatenhand auf ihrer Schulter zu spüren. Doch nichts geschah.
Sie warf wieder einen Blick über die Schulter. John Hawke war ihr ganz nah, ihre Blicke trafen einander. Und in seinen Augen erkannte sie die stumme Botschaft, die er nicht aussprechen durfte. Und dann formten seine Lippen das Wort: »Flieh!«
John Hawke streckte die Hand nach ihr aus, stolperte und stürzte. Er fiel so unglücklich, daß er den Soldaten neben sich mitriß und beide Männer sich auf der Erde wälzten und den ganzen Korridor blockierten. Die nächsten Soldaten hinter ihnen konnten nicht rechtzeitig ausweichen und stürzten über das bereits auf dem Boden liegende Menschenknäuel.
Katherine rannte um ihr Leben.
Sie kauerte hinter einem Abfallhaufen neben dem Lagerschuppen gegenüber von St. Leger House, hatte stechende Kopfschmerzen, und ihr leerer Magen drehte sich immer wieder um. Den ganzen Nachmittag war sie durch London gelaufen, um ihre Verfolger abzuschütteln.
Die Abenddämmerung war angebrochen. Der Himmel hatte sich rosa und grau verfärbt, lange Schatten boten ihr Schutz. Sie fuhr sich mit der Zunge über die aufgesprungenen, trockenen
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