Piratenblut
hatte aber kaum zwei Schritte getan, als aus einer
Seitenstraße ein ganzer Zug holländischer Kolonialsoldaten im Laufschritt auftauchte.
»Hier entlang ist er!« rief einer.
Ein anderer:
»Hier stand er mit einer Frau!« Die letzte Stimme gehörte dem Zweiten Offizier de Witts. Dieser war mit dem Kapitän nicht ins Hotel gegangen, sondern wartete draußen. Er beobachtete, wie zunächst Léon de Musset aus dem Eingang kam.
Nun, dagegen gab es nichts einzuwenden. Es gab auch nichts einzuwenden gegen eine — — hm — — Dame, die ihm offensichtlich folgte. Solche »Damen« gab es in den Städten der Südsee genau wie in allen anderen Städten der Welt.
Der Zweite Offizier blickte dem Mädchen sinnend nach. Schade, daß so ein nettes Mädchen sich
nicht um ihn kümmerte. Aus einem unbewußten Drang heraus schlich er den beiden ein Stück
nach.
Jetzt hatte die Verfolgerin Léon de Musset fast erreicht.
Da hörte er sie rufen:
»Monsieur Dieuxdonné !«
Der Zweite Offizier stand für Sekunden erstarrt. Der
Name erregte ihn mehr, als alle nächtlichen Küsse der Welt das getan haben würden. Er war auf
einmal hellwach.
Er hörte teilweise, was die beiden sprachen.
Im Verlauf des Gesprächs wurde es ihm vollständig klar, daß der so Angeredete tatsächlich niemand anders sein konnte. Hastig entfernte er sich, während die beiden weiterschritten.
Es waren seine Schritte, die Léon und Ellen-Rose gehört hatten.
Er benachrichtigte de Witt, den er im Hotel zusammen mit den anderen antraf.
Neben dem Hotel war ein Wachlokal der Kolonialarmee. Im Nú war der Wachzug formiert. Die
Jagd begann, und alle schlössen sich an.
In Michel stieg die Spannung von Minute zu Minute.
Dieser Mann, der sich selbst »Gottgegeben« nannte — sollte er auf einmal einen solchen Fehler
machen? — Wenn der Bericht des Zweiten Offiziers der »Utrecht« stimmte, dann war
Dieuxdonné bodenlos leichtsinnig geworden.
»Da vorn geht einer«, rief der Zugführer jetzt.
»Das ist er«, flüsterte der Zweite und beschleunigte den Schritt. »Halt! — Stehenbleiben!«
Léon fühlte sich nicht angesprochen. Er ging ruhig weiter, ein wenig zu ruhig vielleicht. Dann hatten sie ihn umringt, und er sah sie mit gutem Erstaunen an. »Womit ick Ihnen kann dienen, Messieurs?«
»Aber, meine Herren«, ließ sich da die Stimme Ter-meulens vernehmen (Benjamin hatte es
vorgezogen, dasErgebnis der Razzia im Hotel abzuwarten), »das ist ja Monsieur de Musset, mit
dem wir soeben beraten haben.«
Verblüffung ringsum.
»Ganz reckt, Messieurs«, ließ sich freundlich Léon vernehmen, »zweifelt ihr daran?« Aber der Zweite war seiner Sache sicher.
»Laßt euch nicht verblüffen«, sagte er scharf. »Ich bin kein kleines Kind. Was ich mit eigenen
Ohren gehört habe, das habe ich gehört. Dieser Herr war sichtlich erschrocken, als ihn die Dame
mit Dieuxdonné ansprach.«
»Welche Dame?« fragte Léon lächelnd.
»Ah, seht ihr, er streitet sogar das ab.«
Man stand unschlüssig herum. Der Pfeifer gedachte sich nicht in diese Sache zu mischen. In Frans Termeulens Gesicht aber begann es plötzlich zu arbeiten. Er hielt den Zweiten gar nicht für so verrückt.
Der Offizier würde schließlich nicht irgendeine Behauptung aus der Luft greifen. De Musset hätte wenigstens das Zusammensein mit der Dame eingestehen können. Ein solches Treffen hätte auch eine Verwechslung mit dem echten Dieuxdonné sein können. Vielleicht kannte die Frau den echten und war von einer zufälligen Ähnlichkeit getäuscht worden.
»Ihr behauptet also, daß Ihr gar keine Frau getroffen und gesprochen habt?« sagte der Zweite Offizier jetzt scharf.
»Oh, dann müßte ick lügen, Monsieur. Ick 'aben gesprochen viele Damen in meine Leben.«
»Wollt Ihr uns verhöhnen, Herr?«
»Mais non, ick antworten nur auf Eure Frage.«
»Ihr streitet also ab, daß Euch vorhin eine Frau mit dem Namen des berüchtigten Flibustiers
angesprochen hat?«
De Musset nickte.
»Mich 'at nix angesprochen eine Dame.«
»Dann verhaftet ihn, Sergeant«, sagte Termeulen.
Für den Sekretär war es klar, daß Léon log. Und für diese Lüge gab es in den Augen der Holländer nur einen Grund: er war Dieuxdonné. Termeulen glaubte plötzlich Zusammenhänge zu erkennen. Er konnte nicht ahnen, daß der galante Franzose sich lieber würde verhaften lassen, als daß er eine Dame kompromittierte, die zu so unziemlicher Stunde mit ihm auf der Straße gesehen worden war. Was jedem Franzosen eine Selbstverständlichkeit war,
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