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Piratenbraut

Piratenbraut

Titel: Piratenbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Geisler
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    Nach dem zweiten Klopfen schlurft drinnen jemand an die Tür. Barfuß, verwuschelte Haare, verschlafener Blick. Es ist Viertel nach neun. Die Parteizentrale müsste seit fünfzehn Minuten geöffnet haben. Michael, der hilfsbereite »Universaldiletant«, der vor sechs Wochen meinen Mitgliedsantrag bearbeitet hatte, soll mich an diesem Montagmorgen hier als Mitarbeiterin anlernen. So jedenfalls war es abgesprochen. Doch der Rollladen ist nur zu Dreivierteln hochgezogen, die Tür zu. Und der verschlafene Mann hinter der Tür ist nicht Michael. Michael hat keine verstrubbelten Haare. Michael hat eine Glatze.
    »Du bist zu spät«, brummt der Mann, als er die Tür öffnet. Er habe mir doch gesagt, ich solle heute pünktlich um neun hier sein. Michael sei nun schon einkaufen gegangen, aber das hätte ich jetzt eben verpasst, genau wie das Öffnen der Geschäftsstelle. Der Pirat macht eine Kehrtwende und tappt zurück in den Raum. Merkwürdig: Im Online-Schichtplan des Parteizentralenteams P9-Squad für diesen Montagmorgen hatte ich seinen Namen gar nicht gesehen.
    Unbekannt ist mir der barfüßige Mann im schwarzen Partei-T-Shirt allerdings nicht. Er nennt sich Wuerfel. Auch die Art der Begrüßung kenne ich schon. Am vergangenen Donnerstag sind wir uns zum ersten Mal begegnet. »Du bist zu spät!«, hatte er vor dem versammelten P9-Squad zu mir gesagt, noch bevor ich mir einen Sitzplatz hätte suchen können.
    Und er hatte ja leider recht. Vor lauter Parteiterminen hatte ich die Zeiten durcheinandergebracht und war leider erst eine halbe Stunde nach Beginn der Squad-Sitzung in der Parteizentrale eingetroffen, um mich als freiwillige Helferin anzubieten. Etwa zehn Männer und eine Frau saßen schon zusammen um einen großen Tisch, und dieser Mann, den alle nur Wuerfel nennen und der im Parteizentralen-Squad offenbar eine wichtige Rolle spielt, hielt mir vor versammelter Mannschaft eine kurze Standpauke. Die übliche Vorstellungsrunde, sagte er dann noch, werde für mich jetzt nicht wiederholt.
    Ich fand das zunächst absolut in Ordnung. Wuerfel hatte bestimmt gute Gründe für so ein Regiment, und ich war ja wirklich viel zu spät. Außerdem bekam nicht nur ich meine Lektion, sondern auch ein anderer P9-Mitarbeiter. Der hatte die vier deckenhohen Regale mit dem Werbe- und Arbeitsmaterial aufgeräumt, es anschließend aber wohl versäumt, die neue Sortierweise wie üblich sofort online in der Rubrik »Materiallager« im Piraten-»Wiki« zu aktualisieren!
    Zehn Minuten nach mir trudelte ein weiterer Neuling ein. Halblanges, mittelgescheiteltes Haar, schwarzer Nerd-Look. Der junge Mann setzte sich schweigend neben mich, packte seinen Rechner auf den Tisch. Ich hielt die Luft an. Was würde Wuerfel sagen? Zu meiner Überraschung passierte nichts. Niemand machte ihm Vorwürfe. Vielleicht, dachte ich, war ich einfach nicht schwarz genug angezogen. Oder mir fehlte der Mittelscheitel. Bessere Gründe fielen mir jedenfalls spontan nicht ein.
    Während ich noch über diese Merkwürdigkeiten staunte, waren die anderen P9-Piraten schon wieder zur Tagesordnung übergegangen. Sie vereinbarten, zwei neue Klobürsten für die Geschäftsstelle zu kaufen und die Seifenspender in den Toilettenräumen zu überprüfen. Eine delikate Angelegenheit: Einer der Piraten aus dem Abgeordnetenhaus hatte sich beschwert, dass jemand für die Parteizentrale »Milk & Honey«-Seife angeschafft habe. Als Veganer könne er sich deshalb hier nicht mehr richtig die Hände waschen.
    Ich hatte mir natürlich im Piraten-»Wiki« durchgelesen, was so zu den Aufgaben der ehrenamtlichen Helfer dieses Squads gehört – zum Beispiel Bürgeranfragen und Anrufe beantworten, aber auch den Müll wegtragen und dafür sorgen, »dass immer genug Mate im Kühlschrank ist«. Dass sich ein Dutzend Piraten nach Feierabend freiwillig über Klobürstenkäufe und Seifensorten austauscht – ganz ehrlich, damit hätte ich bei einer Partei, die in der Öffentlichkeit gerne als visionäre Gruppierung gehandelt wird, nicht gerechnet.
    Aber ich wollte mich von dem ersten Eindruck nicht abschrecken lassen. So stehe ich nun vier Tage nach dem abendlichen Squad-Treffen wieder in der Tür zur Parteizentrale – und würde am liebsten sofort umkehren. Falls Wuerfel sich über unser Wiedersehen freut, verbirgt er das gerade ziemlich gut.
    Doch ich zögere zu lange. »Boote doch mal deinen Computer«, sagt Wuerfel. Auch er hat sich an seinen Rechner gesetzt.

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