Piratenbraut
weg?«
»Vielleicht bis Samstag!«, rufe ich Laura zu, bevor ich gehe. Da redet sie aber schon wieder mit anderen Demonstrantinnen.
Was hat dieser Mini-Aufstand vor dem Kanzleramt gebracht? Auf dem Heimweg in der S-Bahn suche ich nach Spuren unseres Protests im Internet. Die Bilanz ist deprimierend. Auf Twitter kursiert ein Foto von Laura und der Schnuller-Piratin, beide halten eine große Parteiflagge in der einen Hand und rütteln mit der anderen am Kanzleramtszaun. Aber die Presse ignoriert den Flashmob weitgehend.
Nur die Frankfurter Rundschau hat eine Bilderstrecke zum »kreativen Protest« vor dem Kanzleramt ins Netz gestellt. Doch auf den Fotos finde ich ausschließlich Fahnen der SPD und der Linken, kein einziges Parteilogo der Piraten. Als wären wir nicht dabei gewesen! Spiegel Online meldet währenddessen staatstragend: »Zumindest dieser Streit ist bei Schwarz-Gelb nun beigelegt: Die Ministerrunde hat das Betreuungsgeld abgesegnet.« Jetzt ist also alles wieder gut?
Als ich abends noch einmal ins Internet gehe, ist das Betreuungsgeld längst von den News-Seiten gerutscht. Dafür hat die FAZ einen neuen Artikel über die Piratenpartei ins Netz gestellt. Titel: »Pirat: Wurde mit Lan-Kabel geschlagen«, Untertitel: »Mobbing bei den Piraten?«. Ein ehemaliger Bundespressesprecher der Piraten behauptet, er sei von einem Berliner Abgeordneten seiner Partei auf einem Landesparteitag mit einem Computerkabel verhauen worden. Der nicht namentlich genannte Abgeordnete nennt die Vorwürfe »totalen Blödsinn«.
Natürlich ist eine Lan-Kabel-Schlägerei unter Piraten eindeutig das spannendere Thema als unsere Schnuller-Demo – da gebe ich der FAZ -Redaktion recht. Die Zeitung fragt in gewohnt trockenem Ton: »Gehören Schläge mit Lan-Kabeln zum Umgang bei den Piraten?«
Das wüsste ich allerdings auch gerne. Ich rufe Twitter auf. Natürlich ist die krude Geschichte dort längst ein Thema. »Bedauerlicher Einzelknall«, kalauert jemand. Christopher Lauer, der wohl prominenteste Pirat im Berliner Abgeordnetenhaus, lästert: »Ich freue mich auf das Enthüllungsbuch.« Ein Fraktionsmitarbeiter witzelt: »Titel: Meine Zeit bei der mobbigsten Partei der Welt.« Klaus Peukert, Bundesvorstandsmitglied der Piratenpartei, kontert mit: »Durchs wilde Mobbistan.« Offensichtlich sind sogar wüste öffentliche Mobbingvorwürfe für Piraten wie Lauer und Peukert nichts weiter als ein Anlass, sich darüber lustig zu machen.
Und nun hat irgendjemand auch noch ein Piratenpad mit dem Arbeitstitel »Lankabelporn« angelegt und dort einen – mit Sicherheit ebenfalls total lustig gemeinten – Trashtext zu dem Fall zusammengesponnen.
Es war ein Tag wie jeder andere. Nachlässig schnippte der junge Pressesprecher ein Stück Papier auf den Boden, als der Abgeordnete den Raum betrat. (...) Der junge Pressesprecher streifte den Abgeordneten mit einem flackernden Blick. »Du Noob«, brach es aus ihm heraus. »Du Turnbeutelvergesser, du Warmduscher, du WLAN -Kabelverleger, du.« – »Wie nennst du mich?« Die Augen des Abgeordneten funkelten bedrohlich. Er streichelte das LAN -Kabel, welches er immer aufgerollt am Gürtel bei sich trug. »Wiederhole das ...« Der Abgeordnete rollte die Ärmel seines Sweatshirts auf und enthüllte die stattlichen Muskeln darunter. »Wiederhole das ...«
Drehen die gerade alle durch? Wozu hetze ich morgens zum Kanzleramt und gebe meine Zeit für eine von der Piratenpartei unterstützte, mickrige Spontandemo dran, wenn derweil andere Piraten mit grotesken Fehden viel größere Schlagzeilen fabrizieren?
Eigentlich schätze ich die Piraten ja für ihren angenehm selbstironischen Umgang mit den eigenen Schwächen: Wie wohltuend sie sich damit von anderen Parteien absetzen, die zwanghaft versuchen, selbst gröbste Pannen als Erfolge zu verkaufen, und sich damit erst recht unmöglich machen. Ich kenne den ehemaligen Bundespressesprecher der Piraten nicht, ich weiß nicht, welcher Spaßvogel aus der Abgeordnetenhausfraktion ihn angeblich geschlagen hat. Ich habe keine Ahnung, was von den Vorwürfen stimmt. Vor ein paar Tagen hätte ich vermutlich nur den Kopf geschüttelt, geschmunzelt und mich zugleich bestens unterhalten gefühlt. Jetzt finde ich die Piraten gerade nur noch peinlich.
8 »Wir haben kein technisches Problem, sondern ein menschliches«
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Warum ich beim ersten ehrenamtlichen Einsatz in der Parteizentrale keine
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