Piratenbraut
schaffen«. Auf die »prinzipielle Verfügbarkeit solcher Betreuungsangebote« müsse es einen »Rechtsanspruch von Geburt an« geben.
Gegen das Betreuungsgeld zu opponieren, aber dann nur schwammig »ausreichende Betreuungsangebote für Kinder« zu fordern – nach einer echten Alternative klang das für mich nicht. Dagegen sein kann schließlich jeder. So kam ich auf eine Idee: Warum sollte ich, die Neupiratin, nicht einfach mal selbst ein paar Alternativideen entwickeln?
Seit mehreren Wochen hatte ich mich nun schon durch diese Organisation treiben lassen, zunehmend frustriert über meine eigene Orientierungslosigkeit. Vielleicht könnte sich hier ein erstes, spannendes Projekt auftun – meine kleine programmatische Nische in der Partei!
Als ich gestern Nacht Lauras Aufruf zum Flashmob vor dem Kanzleramt entdeckte, fasste ich einen Entschluss. Ich wollte die Chance nutzen, bei anderen Piraten vor dem Kanzleramt für meine Idee zu werben: Lasst uns nicht länger nur gegen das Betreuungsgeld protestieren, sondern eigene Positionen entwickeln! Das war der Plan, theoretisch.
Nun stehe ich auf dem Vorplatz des Kanzleramts und frage mich, wie etwas daraus werden soll, wenn ich niemanden kenne und sich niemand für mich interessiert.
Ein paar Schritte weiter entdecke ich eine Frau mit hellblondem Pagenkopf und schwarzem Blazer. Sie sieht genauso aus wie die Piratin Laura Dornheim damals in der ZDF -Talkshow. Ja, das muss Laura sein! Gemeinsam mit der zierlichen Schnuller-Piratin posiert sie gerade vor dem Kanzleramtszaun für die Pressefotografen – und kommt mir ganz schön gewieft vor: Eben hatte sich ein verwuschelter Pirat mit krummem Rücken und eingerollter Parteifahne neben sie gestellt. Und Laura? Komplimentiert ihn aus dem Bild, um den Fotografen im Anschluss vorzuschlagen, doch gleich auch Aufnahmen in entgegengesetzter Himmelsrichtung zu machen, also mit Reichstag statt Kanzleramt im Hintergrund. Die beiden Presseleute zögern, winken ab. Laura kontert grinsend: »Och, Sie wollen ja nur nicht, dass wir in den Bundestag kommen!«
Ich stutze. Ob es sogar hier auf dieser Spontandemo längst auch darum geht: ums Punktesammeln für die Bundestagswahl? Als sich Laura nach dem Shooting mit anderen Demonstrantinnen unterhält, bemerkt sie beiläufig: Nach der parlamentarischen Sommerpause beginne ja der Bundestagswahlkampf. Dann kündigt sie an, übermorgen mit einer Journalistin von Spiegel Online einen Kaffee zu trinken.
Laura scheint verdammt zielstrebig zu sein. Sie ist meine Frau. Von ihr kann ich einiges lernen. Wenn wirklich etwas aus meiner unausgegorenen Idee werden soll, das familienpolitische Programm der Piraten weiterzuentwickeln, dann muss ich sie ansprechen.
Ich fasse mir ein Herz, stelle mich vor: Astrid, Neupiratin aus Berlin-Friedrichshain, interessiert am Thema Familienpolitik. »Übrigens fände ich es klasse, wenn wir als Piratinnen nicht nur gegen das Betreuungsgeld wären, sondern eine eigene Position entwickeln würden. Nur dagegen sein, ist ja nicht so toll«, schiebe ich hinterher. Laura scheint zu stutzen. »Sollten wir uns nicht mal Gedanken machen, was eine piratige Haltung zum Thema Familie und Beruf wäre?«, ergänze ich eilig. »Schließlich ist das aktuelle Elterngeldgesetz ja auch nicht unbedingt der Stein der Weisen.«
Laura überlegt nicht lange. »Klar«, sagt sie knapp. Am Samstagabend wolle sich der »Kegelklub« hier in Berlin treffen. Vielleicht könnten wir bei der Gelegenheit darüber sprechen.
»Super«, sage ich spontan – und denke: Auch das noch. Schon wieder ein Abendtermin! Seit ich vor knapp vier Wochen meinen Mitgliedsantrag gestellt habe, kann ich mich vor Parteiverpflichtungen kaum noch retten. Donnerstagabend war ich beim Crewtreffen. Freitagabend musste ich mich zwischen einer Podiumsdiskussion und einer Squad-Sitzung entscheiden. Samstagnachmittag nahm ich an einem Lokalparteitag teil. Gestern Abend habe ich kurz bei einem Neupiratentreffen in unserer Nachbarschaft vorbeigeschaut. Heute ist der Flashmob, morgen Abend schon wieder Crewtreffen. Und nun auch noch eine »Kegelklub«-Runde am Samstag?
Mein Freund ist beruflich noch immer im Ausland. Meine Babysitterin schaut inzwischen ungläubig, wenn ich meinen nächsten Parteitermin ankündige. Als ich gestern vor dem Abendessen schnell noch mal nach draußen wollte, um im Bioladen an der Ecke eine Tüte Milch zu holen, fragte mein Sohn traurig: »Warum gehst du heute Abend schon wieder
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