Piratenbraut
bescheidenen Ladenlokal umschaue, desto mehr Zweifel kommen mir: Wird diese Partei ohne halbwegs professionelle Verwaltung den Einzug in den Bundestag meistern können? Wird sie sich überhaupt auf eine halbwegs professionelle Verwaltung verständigen? Und: Welche halbwegs professionelle Bürokraft würde es unter Piraten aushalten?
Unlängst habe ich ein Protokoll im Piraten-»Wiki« entdeckt. Die Leiterin der Bundesgeschäftsstelle und ihr Stellvertreter, beide Anfang zwanzig, wollten herausfinden, wie andere Parteien sich organisieren – und ließen sich die Bundesgeschäftsstelle der Grünen zeigen. »Wir hofften und versuchten, nicht allzu unbedarft und naiv rüberzukommen«, berichten sie in dem Ausflugsprotokoll. Das Papier liest sich eher wie ein Gegenbeweis. Staunend schildern die beiden: Allein der Eingangsbereich der Grünen-Zentrale sei größer als die Bundesgeschäftsstelle der Piraten. Die Grünen leisteten sich 50 fest angestellte Mitarbeiter in der Parteizentrale, die Piraten kaum eine bezahlte Kraft. Die Grünen verlangten mindestens 15 Euro Mitgliedsbeitrag im Monat, die Piraten nur 48 Euro im Jahr. Der Bericht endet mit der launigen Feststellung: »Es gab keine Kekse!«
Immerhin: Zumindest kulinarisch wird mir an meinem ersten Tag in der Parteizentrale einiges geboten. Der große Arbeitstisch im Eingangsraum hat sich in ein Frühstücksbuffet verwandelt. Brötchen, Croissants und Schmalzgebäck, dazwischen Packungen mit Wurst und Käse. »Magst du ein Ei?«, fragt Ronny freundlich lächelnd. Er trägt Gläser mit Latte macchiato auf, Wuerfel bringt eine Kanne Tee. Wir reden über die lustigsten Unfälle mit Kaffeekochern, die Documenta 13 und Lieferschwierigkeiten bei Club-Mate-Bestellungen. Irgendwann will Michael wissen, wie viele Kinder ich habe und ob ich bei Twitter angemeldet sei. Wenig später entdecke ich, dass sich sowohl Michael als auch Wuerfel entschieden haben, meine Twitter-Nachrichten künftig als Follower mitzulesen. Ist das die Wende?
Ronny hat den Büroraum nebenan aufgeschlossen. Durch die Tür entdecke ich jene Plastikablage auf dem Schreibtisch, in die Michael kürzlich meinen ausgefüllten Mitgliedsantrag gelegt hatte. Die Ablage sieht jetzt ziemlich leer aus. Ich frage vorsichtig nach. Der Inhalt sei vor ein paar Tagen von der ehrenamtlichen Mitgliederverwalterin abgeholt worden, berichtet Ronny.
Gerade habe ich Post von ihm bekommen. Er hat mir per E-Mail das offizielle Briefpapier der Partei weitergeleitet. Auf meiner Laptop-Festplatte liegen jetzt Blanko-Briefvorlagen im matt-orangefarbenen Piratenpartei-Design.
Es überrascht mich selbst ein wenig, aber allein der Gedanke daran macht mich gerade kribbelig: Was ich damit alles anrichten könnte! Dem GEMA -Vorstandsvorsitzenden eine Liebeserklärung übermitteln oder der FDP -Spitze ein Fusionsangebot unterbreiten. Nichts dergleichen liegt mir im Sinn. Aber was, wenn ich nicht mit besten Absichten hier säße? Wenn ich einer dieser latent Rechtsradikalen wäre, mit deren politischer Vorgeschichte und kruden Thesen sich die Partei bekanntlich immer mal wieder auseinandersetzen muss? Oder einfach ein bisschen wahnsinnig? Niemand hat mich eine Datenschutzerklärung unterschreiben lassen, niemand nach meiner Gesinnung gefragt.
Ich weiß nicht, ob ich diese Partei jetzt dafür lieben oder bemitleiden soll. Tatsächlich: Sie ist unvorstellbar offen. Und ebenso leichtsinnig. Ich möchte mich über diesen Vertrauensbeweis freuen, aber er macht mich auch skeptisch.
Wuerfel hat indes gerade andere Sorgen. Er steht in dem zur Küchenzeile ausgebauten Flur vor der Spüle, über der ein kleines Abtropfgestell für das nasse Geschirr montiert ist, und klagt: Niemand komme hier mal auf die Idee, die Tassen abzuspülen! Und wenn, dann seien sie meist nicht richtig sauber! So ähnlich klang das in meiner letzten WG , kurz bevor ich auszog.
»Wieso schafft ihr keine Spülmaschine an?«, frage ich Wuerfel. Ein naheliegender Vorschlag, dachte ich. Aber Wuerfel legt los, als bedrohe ein Geschirrspüler die Freiheit des Internets. Wer nicht abspüle, der räume auch keine Tasse in die Maschine! Der fülle auch kein Salz nach! Für Tabs sei das Berliner Wasser zu kalkhaltig! Außerdem seien diese Maschinen gar nicht auf so viele Tassen und Gläser ausgelegt!
Ronny sagt, er habe daheim auch eine Spülmaschine und finde das eigentlich ziemlich praktisch. Wuerfel beeindruckt das nicht: Wenn sich erst herumspreche, dass die Piratenpartei
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