Piratenbraut
in Berlin eine Spülmaschine habe, dann werde in München auch nicht mehr abgespült. Dann wird er grundsätzlich: »Wir haben hier nämlich kein technisches Problem, sondern ein menschliches!«
Ich würde ihn jetzt gerne korrigieren: Ihr habt, denke ich, ein technisches und ein menschliches Problem. Aber ich sage lieber nichts und frage mich insgeheim, wie es wohl politisch um die CDU stünde, wenn im Konrad-Adenauer-Haus alle ihre Kaffeetassen selbst abwaschen sollten. Und gäbe es die Grünen überhaupt noch, wenn die Partei keinen Geschirrspüler hätte?
Bizarre Gedankenspiele. Nur wollte ich kein Praktikum in einer Männer-WG absolvieren, ich wollte nicht über den Abwasch und politisch korrekte Seifensorten diskutieren, sondern die alltägliche Arbeit in einer Parteizentrale mitgestalten. Fast drei Stunden sitze ich nun herum. Ich weiß nicht mehr, was ich hier heute noch soll, und klappe meinen Laptop zu.
Da meldet sich Wuerfel: Er habe mir gerade die erste Aufgabe geben wollen – und klingt dabei ein wenig enttäuscht. Nebenan im Flur surrt der Drucker, Wuerfel reicht mir kommentarlos ein Papier. Ein Wissenschaftler bittet um Informationsmaterial für eine Ausstellung. Und ich soll die Antwort schreiben. Wenig später setze ich meine Unterschrift auf Piraten-Briefpapier: »Mit piratigen Grüßen, Astrid Geisler«.
Ein unwirklicher Moment. Ich komme mir wie eine Hochstaplerin vor, obwohl ich mir keine Fälschung vorwerfen kann. Vor sechs Wochen habe ich hier meine Beitrittserklärung ausgefüllt. Nun unterzeichne ich schon für die Partei. Wie viele Jahre würde ich wohl brauchen, um einen Brief der CDU -Bundesgeschäftsstelle zu signieren?
Wuerfel liest sich mein Schreiben durch, er kräuselt die Stirn: So sei das zu kurz, bemängelt er, der Wissenschaftler solle sich von mir doch nicht abgefertigt fühlen. Und »piratige Grüße« verschicke er eigentlich auch nur an Parteimitglieder, ergänzt Wuerfel. Dann rattert er aus dem Stand einen geschliffenen Brief herunter. Er zeigt mir den passenden Umschlag und die Schublade mit den Briefmarken, sucht die Briefwaage und die Informationsblätter für den Wissenschaftler. Wer hätte das gedacht: Wuerfel hat sich ohne Vorwarnung in einen Serviceprofi verwandelt.
Ich muss an einen Artikel im SZ-Magazin denken. Vor ein paar Tagen hatte das Heft kühn das »Zeitalter der Dilettanten« ausgerufen und die Piraten zu Trendsettern dieser neuen »Konjunktur der Amateure« erklärt. Die These: Nach Musikindustrie und Journalismus werde das Internet auch Ökonomie, Naturwissenschaften und Politik verändern und traditionelle Hierarchien aufweichen. Schließlich hätten sich gerade vermeintliche Profis in den vergangenen Jahren selbst diskreditiert und Unheil über die Menschen gebracht. »Bankenkrise und Kernschmelze sind – auch wenn es so wirken mag – nicht das Produkt von Laien, sondern von hoch bezahlten Spezialisten«, analysierten die Autoren. »Der Dilettant und der Profi sind heute keine Gegensätze mehr.« Wie wahr!
Ronny arbeitet nebenan am Schreibtisch. Michael tüftelt an seinem Smartphone herum. Ich beantworte Post. Schicke einem Abiturienten zur Vorbereitung seiner mündlichen Prüfung das Grundsatzprogramm der Piraten, versende Piraten-Aufkleber und knallorange Luftballons mit Parteilogo auf die Philippinen. Stets begleitet von ein paar Freundlichkeiten. Kaum habe ich einen Brief fertig, liegt neben meinem Laptop schon der nächste Auftrag von Wuerfel. Und ich bekomme langsam Spaß am Parteizentralenwesen.
Eine Sache aber kommt mir merkwürdig vor: Alle Briefe soll ich ein zweites Mal ausdrucken und die Kopie in einem Aktenordner abheften, ganz wie zu Omas und Opas Zeiten. Das ist bestimmt eine kluge Idee, aber diese Partei will die Demokratie in unserem Land updaten und virtualisieren – nur ihren Schriftverkehr archiviert sie auf Papier von Hand gestempelt, nach bester Bürokratentradition. Flüssige Demokratie versprechen, hölzerne Bürokratie praktizieren. Vermutlich muss das genauso sein.
Da kommt auch schon meine Ablösung für die Nachmittagsschicht. Der Pirat ist natürlich pünktlich. Ich packe meine Sachen und rufe in den Raum: »Also, bis demnächst mal ...« Wuerfel schaut kurz auf und nickt.
9 »Sag denen, du putzt keine Parteiklos!«
9 »Sag denen, du putzt keine Parteiklos!«
Wie ich eines Abends beschließe, als Piratin nicht mehr jede Aufgabe zu übernehmen
»Du sollst für die Klos putzen?« Mein Freund lässt die Zeitung auf
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