Piratenbraut
Schweigend starren wir auf unsere Laptop-Bildschirme.
Wer weiß: Womöglich hatte er sich diesen Montagmorgen auch anders vorgestellt. Was er wohl denkt, wer ich bin? Bis jetzt hat er mich nichts gefragt. Dabei würden mir spontan einige Fragen einfallen: Wer bist du? Was machst du sonst so? Warum bist du bei den Piraten? Small Talk eben. Oder wenigstens: Was willst du überhaupt hier in der Parteizentrale? Aber entweder, das interessiert den Mann da drüben an seinem Rechner alles nicht. Oder: Er recherchiert gerade über mich im Internet.
Das bringt mich auf eine Idee. Bestimmt hat dieser Pirat auch einen Steckbrief ins Partei-»Wiki« gestellt. Und tatsächlich: Wuerfel ist Softwareentwickler, Jahrgang 1964, Esperanto-Liebhaber und seit Jahren in der Hackerszene aktiv. Auch das noch! Bis vor sechs Wochen war mir dieses Gefühl unbekannt: Mit Piraten am Tisch sitzen und sich fragen, ob sich wohl jemand heimlich für meine Festplatte interessiert. Mir wird ein wenig mulmig zumute.
Klar, man kommt sich ja immer ein bisschen dämlich vor am ersten Arbeitstag an neuer Stelle, dafür muss man nicht in der Parteizentrale der Piraten anheuern. Trotzdem hatte ich mir den Einsatz hier anders vorgestellt. Das Ganze war schließlich nicht allein meine Idee. Ich war ausdrücklich eingeladen worden. Erst von Michael, jenem »Universaldilettanten«, der mir bei meinem ersten Besuch hier ein paar Tipps mit auf den Weg gegeben hatte. Wenig später las ich dann noch einen Appell auf einer Mailingliste der Partei: Der Geschäftsstelle fehlten Helfer, dabei sei die Arbeit in der Parteizentrale »besonders für Neupiraten« eine tolle Aufgabe, schrieb eine Mitstreiterin. Man müsse eigentlich nur ein Telefon bedienen können – und möglichst ernst bleiben, wenn ein Anrufer bitte, »dass wir Piraten mit Tom Tykwer darüber sprechen, dass der Anrufer gerne Konrad Adenauer in einem biografischen Film spielen möchte«.
Das hatte nach dem perfekten Job für mich geklungen. Zumal ja auch Laura Dornheim, die umtriebige Piratin aus dem »Kegelklub«, laut ihrem »Wiki«-Steckbrief bereits im P9-Squad aktiv gewesen war.
Nun sitze ich am Tisch mit einem Piraten, der mich wie Luft behandelt. Es ist bereits halb elf. Zwischenzeitlich ist Michael aus dem Supermarkt zurück. Auch ein anderer Pirat ist zur Montagmorgenschicht eingetroffen – ebenfalls mit einer Tüte Lebensmittel. Der Kühlschrank ist also gut gefüllt. Ich fühle mich zu allem bereit. Aber ich habe nichts zu tun. Nicht mal das Telefon klingelt. Kein einziges Mal hat es bisher geläutet, den ganzen Morgen nicht.
Ob hier eigentlich immer so wenig los sei, frage ich vorsichtig. Michael stutzt. Vielleicht funktioniere die Telefonanlage nicht, sagt er, hebt versuchsweise den Hörer ab und verkündet: »Tot!« Er grinst amüsiert. Ich mache einen Testanruf. Da läutet es doch. Hat er mich gerade veräppelt?
Dies ist die Schaltzentrale einer Partei, die seit Monaten die Konkurrenz einschüchtert. Die Piraten sind inzwischen in vier Landtagen vertreten, mit insgesamt 45 Abgeordneten. Würde am nächsten Juni-Sonntag der Bundestag gewählt, die Piraten bekämen – Umfragen zufolge – etwa zehn Prozent der Wählerstimmen, also deutlich mehr als die Linkspartei oder die FDP . Die Partei hat inzwischen gut 32.000 Mitglieder, sie ist damit immerhin schon halb so groß wie die Grünen oder die FDP .
Doch verglichen mit diesem 3,5-Zimmer-Laden im Erdgeschoss, der neben der Bundesgeschäftsstelle zugleich auch die Berliner Landesgeschäftsstelle beherbergt, sind viele Yogastudios in Berlin-Mitte wahre Paläste. Laut Piraten-»Wiki« wurden die Büroräume 2009 zunächst als Wahlkampfzentrale angemietet. Bis vor Kurzem waren dort ausschließlich ehrenamtliche Mitarbeiter im Einsatz. Erst seit Januar 2012 bekommt die Leiterin der Bundesgeschäftsstelle ein Honorar für ihre Arbeit – in einem Protokoll des Parteivorstands ist von monatlich 400 Euro die Rede. Ich wäre neugierig, die Studentin kennenzulernen. Aber leider ist sie nicht da.
Auch der Berliner Piratenvorstand stellte just vor ein paar Tagen fest, dass die Arbeit hier »nicht mehr komplett ehrenamtlich zu leisten« sei, weshalb nun Ronny, der vorhin mit einer Einkaufstüte zur Tür hereingekommen ist, nach monatelanger ehrenamtlicher Leitung der Landesgeschäftsstelle laut dem Partei-»Wiki« künftig 1000 Euro im Monat erhalten soll.
Das alles klingt, als würde sich hier etwas tun. Doch je länger ich mich in dem
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