Piratenbraut
die Arbeit seiner Fraktion. Er macht das bravourös, eine Minute nach der anderen zu füllen.
Um drei Minuten vor fünf schließlich haben 31 Piraten aus dem Bezirk in der »Jägerklause« eingecheckt. »Nach Telefonkette doch noch beschlussfähig«, twittert Ralf. Ein anderer Pirat meldet stolz, die Gebietsversammlung sei »keine 1:57 später« gestartet. »Ihr habt nicht wirklich zwei Stunden gewartet, bis genug Piraten akkreditiert waren, oder?!«, fragt jemand ungläubig via Twitter zurück. »Ihr seid ja krass.«
»Du bist ja echt noch mal gekommen«, begrüßt mich ein Pirat, dem ich bei der vorigen Gebietsversammlung mein Entsetzen über die endlosen Streitereien gestanden hatte. Er selbst allerdings stiehlt sich wieder davon, kaum dass die Beschlussfähigkeit festgestellt ist. Hauptsache, die Stimmkarten nicht zurückgeben, wenn du gehst, lautet die Devise – denn wer nicht auscheckt, gilt weiter als anwesend. Offenbar eine recht beliebte Mitmachstrategie.
In den folgenden zwei Stunden diskutieren und entscheiden wir im kleinen Kreis über das große Bezirks-Liquid-Feedback. Wie lange sollen Informationen über die Abstimmungen abrufbar sein: zehn Jahre, fünf Jahre oder lieber nur zwölf Monate? Tobias aus meiner Crew fordert ein »Recht auf Vergessen«. Andere argumentieren, das Internet vergesse ohnehin nichts. Am Ende gewinnt der Antrag für eine Löschfrist von fünf Jahren gegen den Antrag für eine Löschfrist von zehn Jahren – und zwar mit zehn zu acht Stimmen. Mehrheit ist Mehrheit.
Je älter der Nachmittag, desto größer scheint das Bedürfnis der Piraten in der »Jägerklause«, die Anträge zügig durchzuwinken. Das Bezirksliquid soll zunächst drei Themenbereiche bekommen? Einstimmig angenommen. Die anwesenden Piraten sollen sich heute noch akkreditieren? Einstimmig angenommen. Es muss weitergehen, die »Jägerklause« steht der Partei schließlich nur bis 20 Uhr zur Verfügung. Mit jeweils 18 von 18 Stimmen wählen wir zum Abschluss in geheimer Abstimmung auch drei neue Liquid-Feedback-Beauftragte. Als das Ergebnis verkündet wird, ruft Ralf in den Saal: »Auf unser sozialistisches Einheits-Liquid!«
Kaum zu glauben, dass sich die Piraten beim vergangenen Lokalparteitag endlose Wortgefechte geliefert haben. Und wie vergiftet die Stimmung damals war.
Gegen 19 Uhr rücken die ersten Piraten auffällig nah zum Saalmikrofon vor. Gleich soll dort die offizielle Akkreditierung beginnen, und offensichtlich läuft bereits ein Wettrennen um die besten Plätze. Ein Pirat verliest noch einmal die Spielregeln: Jeder, der sich bei der Demokratiesoftware auf Bezirksebene anmelden wolle, müsse sich vorne am Mikrofon mit Namen und Mitgliedsnummer vorstellen, dann müsse er am Akkreditierungstisch den Mitgliedsausweis und einen gültigen Personalausweis beziehungsweise einen Reisepass und eine Meldebestätigung vorlegen und ein Formular ausfüllen.
Da verkündet einer der Piraten aus dem Berliner Abgeordnetenhaus bereits per Twitter: »Ich bin akkreditiert! Erster!« Jetzt steht ein Bezirksverordneter vorne am Mikro und gibt nach kurzer Kunstpause bekannt, er sei das Parteimitglied mit der Nummer »... zwei!« Szenenapplaus im Saal.
Als vierzehnte Piratin aus Friedrichshain-Kreuzberg gehe ich ans Mikro: »Astrid Geisler, Mitgliedsnummer 3-9-1-2-0.« Dann geht’s weiter zur Akkreditierung, ich strecke einer der Prüferinnen meinen Personalausweis entgegen: »Den Mitgliedsausweis habe ich leider noch nicht.« Sie lächelt mich freundlich an. »Das macht doch nichts! Ich bin drei Jahre dabei und hab auch noch keinen Ausweis.«
Dieses Bezirks-Liquid-Feedback ist wirklich eine überschaubare Veranstaltung. An diesem 26. August haben sich genau 22 Piraten angemeldet. Selbst ich als dienstjüngste Teilnehmerin kenne die Hälfte von ihnen schon persönlich. Ich würde mich dafür verbürgen, dass hier bislang alles mit rechten Dingen zugeht. Die andere Frage ist: Welche Aussagekraft hat es, wenn demnächst womöglich schon ein Dutzend delegierter Stimmen ausreicht, um im Bezirk Richtungsentscheidungen alleine zu treffen? Und: Ist das unsere Idee von Basisdemokratie, wenn am Ende genau jene engagierten Lokalpiraten die wichtigen Entscheidungen unter sich ausmachen, die dies auch ohne virtuelle Hilfsmittel tun würden?
16 »Transparenz ist wie Liebe ...«
16 »Transparenz ist wie Liebe ...«
Je länger ich Piratin bin, desto mehr wird mir klar, wie wenig ich in meiner Partei durchblicke
Niemand bittet um
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