Piratenbraut
Das hörte sich für ihn nach CDU an. Bei keinem der Sätze tippte er auf die Piraten – obwohl alle aus Lauras Wirtschaftskonzept stammten.
Klar, wer denkt bei Wirtschaftspolitik schon an die Piraten? Andererseits gab mir dieses Ergebnis zu denken: Würde im nächsten Herbst irgendjemand auf dem Wahlzettel sein Kreuz bei der Piratenpartei machen, weil sie in ihrem Grundsatzprogramm dann womöglich verspricht, sie »strebe die Verbindung von Wettbewerbswirtschaft und sozialem Ausgleich an«, wie es in Jans Antragspapier heißt? Oder weil die Partei behauptet, ihr »wirtschaftspolitisches Grundverständnis« gründe »auf den ursprünglichen Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft«, was Lauras Konkurrenzpapier vorschlägt?
Mich als Wählerin würden solche Behauptungen weder abschrecken noch begeistern, wobei Jans Entwurf ein wenig unkonventioneller klingt. Er enthält einen Querverweis zu der unter Piraten geschätzten Idee der »Plattformneutralität«, der zufolge alle Menschen einen »diskriminierungsfreien Zugang« zu den wichtigsten gesellschaftlichen Infrastrukturen bekommen sollen – und obendrein die Behauptung, für die Piraten messe sich wirtschaftlicher Erfolg nicht nur an »ökonomischen Parametern«, sondern auch an Größen wie »Wohlbefinden und Zufriedenheit der Bevölkerung im Sinne des Bruttonationalglücks«. Aber letztlich ist auch das ja nur Geschwurbel.
Müssen Grundsatzprogramme womöglich wolkig klingen? Oder sollten zumindest wirtschaftspolitische Grundsatzanträge bei den Piraten genauso vage sein, weil jeder klar positionierte Entwurf in einer so weit auseinanderdriftenden Partei niemals die nötige Mehrheit bekommen könnte? Ich weiß das nicht.
Die anderen Parteien aber werden wissen, warum sie sich wohlklingende, von Allgemeinplätzen strotzende Programmpapiere verpassen. Die CDU behauptet nicht zufällig in ihrem Grundsatzprogramm, sie sei »die Partei der Sozialen Marktwirtschaft«. Und im Grundsatzprogramm der SPD steht mit Absicht: »Das Prinzip unseres Handelns ist die soziale Demokratie.« Brauchen die Piraten das auch?
Ich frage jetzt einfach mal Tom, er ist ja heute im »Caminetto« unser Ratgeber. »Nein«, sagt er mit ernstem Blick. Wir Piraten seien mal angetreten, um ohne die austauschbaren Phrasen auszukommen, mit denen andere Parteien auf Wählerfang gehen. Und diesen Unterschied müssten wir uns bewahren. Seine Empfehlung: Lieber beim Bundesparteitag kein Wirtschaftsprogramm unterstützen als so eines. Wir könnten ja, regt Tom an, aus der Crew heraus viele gute Fragen an die Antragsteller richten. Er liefere auch gerne die Ideen. Und es beginnt sofort ein so heiteres Gemurmel, als könnten einige es gar nicht abwarten, endlich in Bochum den Parteitag aufzumischen.
Aber ist es wirklich klug, ein Wirtschaftsprofil dieser Partei zu verhindern? Der ARD -Deutschlandtrend sieht die Piraten gerade erstmals seit einem Jahr wieder unter der Fünf-Prozent-Marke. Und eine der beliebtesten Begründungen lautet: Den Piraten fehlt ein richtiges Programm, wie es die anderen Parteien haben.
Auch mein Freund redet davon, wenn wir auf die Piraten zu sprechen kommen. »Die kommen mir vor wie eine Partei im Leerlaufbetrieb«, hat er mir am Sonntagnachmittag bei einem Pistazien-Eis verkündet. Ständig gebe es nur Gezicke und Skandale. »Wissen die überhaupt, was die wollen?« Er könne sich jedenfalls nicht erinnern, dass die Piraten in den vergangenen Monaten inhaltlich irgendeinen Punkt gemacht hätten. Vor einem halben Jahr sei es ja noch ganz lustig gewesen, wenn Leute aus der Piratenpartei in den Talkshows ihre Ahnungslosigkeit zur Schau stellten. Inzwischen habe er aber andere Erwartungen. Wenn seine Meinung exemplarisch ist, dann steht es wirklich nicht gut um das Image meiner Partei.
Eigentlich hätte ich ihm gerne versichert, er solle sich nicht so an diese Programmdebatte klammern. Vermutlich habe er ja auch noch nie einen Blick in ein Wahlprogramm von SPD, CDU, FDP oder Grünen geworfen. Es sei doch viel wichtiger, dass die Piraten mit innovativen Konzepten und zeitgemäßen politischen Prozessen das demokratische System neu belebten. Nach meinen zweifelhaften Erfahrungen mit der angeblich so wegweisenden Demokratiesoftware Liquid Feedback bringe ich solche Sätze aber noch nicht wieder über die Lippen.
Parteipolitik mag eine vergnügliche Sache sein, solange es um wenig geht. Doch diese Zeit ist für die Piraten vorbei. Es geht jetzt um Ruhm, Ehre, Einfluss,
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