Piratenbraut
aufgehoben, der eine steile Karriere im »Bund Freier Bürger« gemacht hatte und außerdem auf der Autorenliste der Rechtspostille Junge Freiheit stand.
Der Richtungsstreit betrifft aber nicht allein programmatische Fragen, es geht auch um das Selbstverständnis dieser Partei: Wollen die Piraten als utopistische Alternative von außen zuschauen und kritisieren oder sich pragmatisch ins politische Alltagsgeschäft einbringen?
Die beiden Grundsatzanträge zur Wirtschaftspolitik, um die es heute Abend geht, stammen nicht von irgendwem, sondern von zwei der »zehn wichtigsten Strippenzieher der Piraten«, so jedenfalls sieht das Spiegel Online. Hinter dem ersten Entwurf steht Laura Dornheim, jene Piratin aus dem »Kegelklub«, mit der ich im Frühsommer aus Protest gegen das Betreuungsgeld vor dem Kanzleramt herumgestanden habe. Der andere stammt von Jan Hemme, dem Piraten, der eine seiner Liquid-Feedback-Initiativen bis in den Bundesrat brachte und bei meinem ersten Stammtisch-Besuch im »Kinski« zufällig neben mir auf dem Sofa saß.
Es ist ein bemerkenswerter programmatischer Zweikampf: Jan und Laura sind beide noch kein Jahr bei den Piraten. Beide kommen beruflich aus der Berater-Branche. Beide rackern seit Monaten für die Partei, als hätten sie ihr Leben lang von nichts anderem geträumt. Jan, im Spiegel-Online -Ranking als »rhetorisch geschickter Karrierist« eingeordnet, hat dem Bericht zufolge sogar seinen Job aufgegeben und ist nun Berater von Parteichef Bernd Schlömer.
Vermutlich könnte man auch sagen: Der Wahlkampf ist eröffnet. Nicht irgendwo draußen auf der Straße, nicht im Fernsehen oder bei Facebook, sondern in der Partei – und hier, im schummrigen Hinterzimmer des »Caminetto«. Es geht um das beste Wirtschaftsprofil, aber nebenbei auch um die optimale Startposition zur Bundestagswahl, für die gesamte Partei und für einzelne Mitglieder.
Längst haben überall im Land zahllose Piraten ihre Bewerbung für den Bundestag bekannt gemacht, und es wäre eine kleine Sensation, wenn ausgerechnet Jan und Laura nicht ebenfalls demnächst aus der Deckung kämen.
In jedem Fall dürfte der Wettstreit um die wenigen, aussichtsreichen Listenplätze wohl nirgendwo härter werden als hier in Berlin. Gerade hat jemand via Mailingliste verkündet: Wenn die Partei fünf Prozent der Stimmen hole, wären das nur zwei sichere Listenplätze für die Berliner Piraten.
Wer einen davon haben will, sollte deshalb Meilensteine vorweisen. Und das eine oder andere Kapitel im Grundsatzprogramm könnte so einer sein. Während also Jan und Laura darum ringen, wer der Partei das bessere Wirtschaftsprofil verpassen und sich damit hervortun kann, zerlegt Tom deren Entwürfe. Sind die Piraten kurz davor, ausgerechnet ihr Grundsatzprogramm um fürchterlichen Unsinn zu erweitern? Auf Toms Laptop jedenfalls sind beide Antragstexte mit roten Markierungen und Randnotizen überzogen.
Dutzende Kritikpunkte habe er aufgelistet, berichtet Tom. Der Großteil betreffe Lauras Konzept, aber auch an Jans Programmentwurf habe er allerhand auszusetzen. Es geht auf Mitternacht zu, vorne im »Caminetto« packen Kellner schon die Wäschesäcke. Wie sollen wir das in dieser Sitzung noch schaffen?
Tom hat eine Idee: Wir könnten ja eine beliebige Zahl nennen und er werde uns erklären, was er an ebendiesem Punkt kritisiere. Oder fänden wir das geschmacklos? »Achtzehn!«, ruft jemand vergnügt. Die Crew Prometheus spielt heute also Programm-Bingo! Was Tom an den Entwürfen bemängelt, ist schnell klar. Er findet, für so grundlegende Fragen hätten sich Laura und Jan viel mehr Zeit nehmen sollen. Ihre Texte seien floskelhaft, oberflächlich, zum Teil in sich widersprüchlich – kurzum, nicht ausgereift.
Zufällig hatte ich gerade vorgestern Abend daheim auch ein kleines Quiz veranstaltet. Mein Freund sollte zum Spaß raten, von welcher Partei die programmatischen Aussagen stammten, die ich ihm vorlas: »Arbeit ist für uns nicht nur eine handelbare Ware, sondern immer auch die persönliche Leistung eines Menschen.« Klinge nach SPD , fand mein Freund. »Es gehört zu den Aufgaben des Staates, sicherzustellen, dass auch im freien Markt die Menschenwürde respektiert wird.« Mein Freund tippte auf die Grünen. »Als Vertreter aller Bürgerinnen und Bürger hat der Staat nicht nur das Recht, sondern in besonderen Situationen auch die Pflicht, regulierend in das Wirtschaftsgeschehen einzugreifen, sofern dies im Sinne des Allgemeinwohls ist.«
Weitere Kostenlose Bücher