Piratin der Freiheit
hatte, was
einmal seine glorreiche Fahne gewesen war.
»Verdammt noch mal!« rief er schließlich aus. »Aus
welchem Schoß bist du eigentlich gekrochen?«
»Aus dem meiner Mutter.«
»Das nehme ich an, aber ich kann kaum glauben, daß
du solche Überlegungen anstellst und dabei angeblich noch nicht einmal weißt, was ein Mann ist.«
»Und was hat das Bett mit der Logik zu tun?« wollte sie wissen. »Nach allem, was ich weiß, geht es im Bett ums Gefühl und nicht um den Verstand. Aber sowohl
mein Lehrer als auch mein Bruder waren Männer, die
denken konnten und mir beigebracht haben, daß der
gesunde Menschenverstand die mächtigste Waffe ist,
die wir haben. Diese wende ich an, obwohl ich natürlich auch die Kanonen nicht verachte.«
»Potztausend!« lautete die brüske Antwort. »Wir wä-
ren wirklich ein unschlagbares Paar geworden.«
»Kein Paar ist unschlagbar, schon deshalb, weil man es teilen kann«, gab sie ihm zu bedenken. »Nur den
menschlichen Geist kann man tausendmal niederwer-
fen, und doch erhebt er sich tausendmal wieder.«
Wieder an Land, lief der übellaunige Laurent De
Graaf Miguel Heredia Ximenez über den Weg, der eine Gruppe anführte, die den langen und schweren Mast
der Botafumeiro trug. Er hielt ihn an und fragte fast aggressiv:
»Sagt mir… was zum Teufel empfindet Ihr, so eine
Tochter zu haben?«
Der Margariteno sah ihn einige Augenblicke lang an, bevor er sehr ernst antwortete:
»Fassungslosigkeit.«
»Ach ja…«, seufzte der Holländer erleichtert. »Dann geht es ja nicht nur mir so.«
Eine ganze Horde von Leuten machte sich nun über
das Schiff her, um es anzustreichen, zu kalfatern, vom Pilz zu befreien und damit die Galeone wieder seetüchtig zu machen. Die Mischung aus Farbe, Teer und stinkenden Kräutern, die man im Kielraum verbrannte, um Ratten und Kakerlaken zu vertreiben, roch so erbärmlich, daß Celeste und Miguel Heredia in ihr Domizil nach Caballos Blancos flüchteten. Dort empfingen sie etwa fünfzig Sklaven, die auf den Plantagen arbeiteten, mit betrübtem Gesichtsausdruck.
»Was ist los?« wollte das Mädchen wissen und wand-
te sich sofort an den Koch, einen dicken, schwitzenden Senegalesen, der früher stets gelächelt hatte, jetzt aber mit sorgenvoller Miene durch den großen Speisesaal
ging. »Was sollen diese Gesichter?«
»Es heißt, die Herrschaft verläßt die Insel und will uns an Mr. Klein verkaufen«, jammerte der Hüne. »Und
Mr. Klein handhabt die Peitsche sehr großzügig.«
»Aber was ist das denn für ein Unsinn?« entgegnete
Celeste überrascht und blickte fragend ihren Vater an.
»Hast du vielleicht durchblicken lassen, daß wir gehen?« Als ihr Vater den Kopf schüttelte, blickte sie den kummervollen Dickwanst an. »Selbst wenn wir die
Insel verlassen, kommen wir wieder zurück, denn nur hier besitzen wir ein Haus. Und kein Mensch wird euch verkaufen. Da könnt ihr ganz sicher sein.«
Als wäre der Teufel hinter ihm her, rannte der gute Mann hinaus, um die gute Nachricht auf der ganzen
Plantage zu verbreiten. Und als ein Sklave nach dem anderen zu jubeln begann, blickte Miguel Heredia seine Tochter an.
»Wir müssen da etwas unternehmen«, sagte er.
»Schließlich werden wir bald aufbrechen. Ob wir je-
doch jemals wieder zurückkehren, wissen wir nicht.
Was wird mit diesen Leuten passieren, wenn wir zu
lange wegbleiben? Es würde mich nicht wundem, wenn
sich schließlich Klein oder ein anderer die Sklaven holt.
Ein Neger ohne Herr ist hier wie eine Kokosnuß, die auf dem Weg liegt: Sie gehört dem ersten, der vorbei-kommt.«
»Wir könnten sie freilassen, allerdings fürchte ich, daß, wenn wir nicht hier sind, um sie zu beschützen, man sie binnen zwei Wochen eines Verbrechens anklagen, ins Gefängnis stecken und an den Erstbesten verkaufen wird, der die Kaution bezahlt.«
Miguel Heredia fiel keine Antwort ein, denn er wußte, daß seine Tochter recht hatte. Auf Jamaika akzeptierten die Weißen nicht, daß ein Schwarzer für sich selbst arbeitete. Der gab nur ein schlechtes Beispiel für die übrigen Sklaven ab. Außerdem hätte das bedeutet, daß Schwarze auf der gleichen Stufe stehen konnten wie
Weiße, und das war schlichtweg unannehmbar.
Zwar hatte jeder Sklave laut Gesetz das Recht, sich entweder freizukaufen oder auf ausdrücklichen Wunsch seines Herrn in die Freiheit entlassen zu werden, aber die Praxis sah anders aus. Freigelassene landeten stets auf die eine oder andere Weise hinter Gittern.
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