Piratin der Freiheit
Weile schauten sie zu, wie Schwarze und
Weiße außer Atem über den Strand liefen. Dann schob Celeste Heredia seelenruhig das Fernglas zusammen
und meinte:
»Das dürfte reichen. Ich nehme an, unser guter Freund Klein hat die Botschaft verstanden. Kurs Margarita.«
Der Venezianer blickte seinen Ersten Offizier an und befahl ihm fast gleichmütig:
»Schächte schließen, Anker lichten, Groß- und Fock-
segel setzen, Kurs steuerbord.«
Natürlich gab es von vorn nach achtern sofort Gerede.
Vom Mastkorb bis herunter in die Küche, in der man
gerade das Frühstück zubereitete, fragten sich alle, was diese ungewöhnliche Aktion bedeuten konnte. Was war noch alles von einer Frau zu erwarten, die eine bestimmt nicht billige Zuckermühle so selbstverständlich in Stücke schießen ließ, als würde es sich um Rosen-stöcke im Garten handeln, die beschnitten werden müssen.
Als sie mit Kapitän Buenarrivo, dem Ersten Offizier, Miguel Heredia und Gaspar Reuter zu Mittag aß, bemerkte Celeste, die am Kopf der Tafel saß, beiläufig:
»Vier Kanonen haben ein festes und recht nahes Ziel verfehlt. Das darf nicht wieder vorkommen.«
»Wir sorgen dafür.«
Das Mädchen wandte sich an den Venezianer, der
links neben ihr saß.
»Ich verlasse mich darauf. Und jetzt ist wohl der Augenblick gekommen, der Besatzung das Ziel unserer
Mission zu erklären. Aber eines sollte klar sein: Wer dann nicht mehr an Bord bleiben möchte, erhält die
Heuer für einen Monat und kann auf Margarita an Land gehen, ohne daß ihm jemand den geringsten Vorwurf
macht.«
Am gleichen Nachmittag ließ der Kapitän die gesamte Besatzung auf Deck antreten, lehnte sich an die Reling des Achterkastells und erläuterte ihnen, so knapp er konnte, die Gründe, warum sie an Bord waren.
Danach herrschte langes Schweigen. Celeste Heredia
nutzte die Gelegenheit, um aus ihrer Kajüte zu treten.
Alle blickten sie erwartungsvoll an.
»Eins solltet ihr noch wissen«, sagte sie. »Außer eurer jeweiligen Heuer spendiere ich der Mannschaft für jeden befreiten Sklaven eine Golddublone.«
Die Menge murmelte Zustimmung, und eine anonyme
Stimme aus den letzten Reihen wollte wissen:
»Wie viele Schwarze sind denn gewöhnlich auf einem
Sklavenschiff?«
»Zwischen fünfhundert und tausend.«
»Heißt das, daß Ihr bereit seid, jedes Mal, wenn wir eines dieser Schiffe kapern, fast tausend Dublonen zu verteilen?«
»So ist es.«
»Und was habt Ihr davon?«
Das Mädchen musterte die ungläubigen, von Sonne
und Wind gegerbten Gesichter. Ein Lächeln huschte
über ihr Gesicht:
»Wer das nicht versteht, dem kann ich es auch nicht erklären. Er soll einfach gehorchen oder auf Margarita an Land gehen.«
Sie drehte sich um und verschwand wieder in ihrer
Kajüte. Natürlich brodelte die Gerüchteküche erneut.
Auf Deck, im Speiseraum und in den Mannschaftsquar-
tieren sprach man tagelang von kaum etwas anderem:
Man fuhr auf dem Schiff einer seltsamen Frau, die
wahrscheinlich verrückt war.
»Verrückt oder nicht«, lautete schließlich die fast einmütige Meinung. »Jedenfalls hat sie das Geld, um ihre Versprechen zu halten, und wir fahren auf dem momen-tan besten Schiff aller sieben Weltmeere.«
Also machten sie ihre Arbeit, so gut sie konnten, und das war viel. So konnte der Ausguck im Mastkorb bereits eine Woche später am Vormittag melden: Land in Sicht!
Am nächsten Tag ankerten sie in der Bucht von Juan
Griego, allerdings außer Schußweite der schweren Kanonen der Festung La Galera. Nachdem Celeste befoh-
len hatte, eine Schaluppe zu Wasser zu lassen, bat sie Gaspar Reuter, an Land zu gehen und Hauptmann Sancho Mendana zu bitten, er möge an Bord kommen.
»Sagt ihm, daß ich ihn darum bitte: die >kleine< Celeste Heredia.«
Zwei Stunden später kletterte der schnauzbärtige Offizier aus Margarita an Bord und umarmte gerührt Vater und Tochter. Als er erfuhr, daß sein guter Freund Sebastian ums Leben gekommen war, konnte er seine
Tränen kaum unterdrücken.
»Es tut mir in der Seele weh«, sagte er. »Ich habe gesehen, wie er geboren wurde, wie er aufgewachsen ist, und ich habe ihn wie einen Sohn geliebt.«
Anschließend erzählten ihm Miguel und Celeste Here-
dia, was seit dem Tag geschehen war, an dem sie Margarita verlassen hatten. Nachdem er seine alte und
schwere Pfeife angezündet hatte, schüttelte der Kommandant der Festung La Galera maßlos verblüfft den
Kopf.
»Das Schicksal schlägt mehr Kapriolen als der größte
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