Piratin der Freiheit
langsam aus der ruhigen Bucht. Bei Sonnen-
untergang erhob sich gewöhnlich auf dem offenen
Meer eine leichte Brise, die man einfangen konnte.
Kapitän Buenarrivo überwachte jedes Detail des
schwierigen Manövers. Einige Meter hinter ihm stan-
den Celeste und Miguel Heredia unter dem Zeltdach
des Achterkastells und winkten Madame Dominique,
Oberst Buchanan und Ferdinand Hafner, die ihnen von Land aus eine gute Reise wünschten, zum Abschied zu.
Als man jedoch die Barriere zwischen der riesigen Lagune und dem offenen Meer passierte, mußte das Mäd-
chen mit Wehmut an jenen anderen, kaum ein Jahr zu-
rückliegenden Tag denken, an dem sie mit ihrem Bru-
der Sebastian zum ersten Mal die schöne Silhouette von Port-Royal erblickt und die perfekte Lage dieser ein-zigartigen Stadt bewundert hatte.
Jetzt war ihr Bruder tot, und die Stadt lag in Schutt und Asche.
Zwei Meilen vor der Küste holte man die Ruderboote
ein, setzte die Segel und wartete auf Wind. Nachdem der Venezianer überprüft hatte, daß jeder Mann auf
seinem Posten war, wandte er sich an Celeste: »Kurs?«
»Südsüdwest. Ich möchte im Morgengrauen vor Black
River ankern.«
Die Nacht war ruhig, und die milde Brise duftete nach feuchter Erde. Die meisten Besatzungsmitglieder waren heilfroh, die Freiheit des Meeres wieder zu spüren. Monatelang hatten sie sich wie Gefangene auf einer Insel gefühlt, die urplötzlich jeglichen Zauber verloren und sich in einen unerträglichen Kerker verwandelt hatte.
Ohne das schamlose Port-Royal mit seinen fröhlichen Huren und Schenken war Jamaika nur noch ein heißer
und feuchter Ort. Bemerkenswert waren hier jetzt nur noch die Größe und Angriffslust der Moskitos. Allein die Tatsache, dieser widerwärtigen Plage entronnen zu sein, machte die Mannschaft froh und glücklich. Ei-lends brachten die Männer ihre Hängematten an Deck
und spannten sie zwischen die Masten, um sorglos unter einem Sternenhimmel zu schlafen.
Wahrscheinlich fragten sich die meisten, wie lange ih-re Reise dauern, an welch entlegenen Ort sie dieses Wagnis bringen würde. Aber sie lebten schon seit einiger Zeit für das Abenteuer, und die Tatsache, auf einem Schiff zu fahren, dessen Ziel man nicht kannte, war für sich allein schon vielversprechend genug.
Von Zeit zu Zeit musterten sie das – jetzt weite Männerkleidung tragende – Mädchen. In ihren Händen lag das Schicksal der mächtigen Galeone. Manch einem
war nicht wohl dabei, auf die Befehle einer zarten Frau hören zu müssen, doch waren die meisten der Auffas-sung, daß die »Silberdame« genug Beweise geliefert
hatte, daß sie mehr Mumm in den Knochen hatte als
das größte Schlitzohr unter den alten Piratenkapitänen.
Über ihr kurzes Leben und ihre dunkle Vergangenheit waren tausend Gerüchte in Umlauf. Sicher wußte man
nur, daß sie gemeinsam mit ihrem Bruder gesegelt war, dem schon legendären Kapitän Jacare Jack, und der
hatte sogar Mombars dem Todesengel den Garaus ge-
macht. Das allein war schon eine hervorragende Emp-
fehlung.
Am nächsten Tag gingen sie eine gute halbe Meile vor Black River vor Anker. Im ersten Morgenlicht zeichnete sich das prunkvolle Herrenhaus von Stanley Klein ab, dessen riesige Plantage bis zum Horizont reichte.
Auf einer Anhöhe, lediglich zweihundert Meter vom
Strand entfernt, stand die weiße Zuckermühle.
Celeste suchte mit einem großen Fernglas die gesamte Hacienda ab und, ohne sich umzudrehen, befahl sie
dem Kapitän, der hinter ihr stand:
»Kanonenschächte öffnen!«
Ein Pfiff ertönte.
»Kanonenschächte öffnen!«
»Warnschuß abfeuern!«
»Warnschuß abfeuern!«
Fünf Kanonen spuckten Feuer. Auf der Stelle liefen
zahlreiche Menschen am Strand zusammen und blick-
ten ängstlich bis überrascht auf das mächtige Schiff, das sie von See aus bedrohte.
Das Mädchen betrachtete sie mit dem Fernglas, und
als sie die riesige Gestalt des froschgesichtigen Sklavenhändlers ausmachen konnte, huschte ein Lächeln
über ihr Gesicht.
»Es ist an der Zeit, Mr. Klein unsere Nachricht zu
übermitteln«, murmelte sie und wies auf die Zucker-
mühle. »Schießt sie in Stücke! Aber daß mir das Haus unversehrt bleibt.«
Die Kanoniere zielten sorgfältig, und als der Pfiff er-tönte, zündeten sie die Lunten.
Zehn zweiunddreißigpfündige Kanonenkugeln pfiffen
durch die Luft. Sechs von ihnen schlugen mitten in dem weißen Gebäude ein. Was blieb, war ein Trümmerhaufen, den eine Staubwolke einhüllte.
Eine kurze
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