Piratin der Freiheit
schließ-
lich überzeugt: »Ich werde deinen Rat beherzigen, denn allein der Gestank ist nicht auszuhalten. Kehr an Bord deines Schiffs zurück und rühr dich nicht vom Fleck, bis du weitere Befehle erhältst.« Sie drohte ihm mit dem Finger. »Und laß sofort alle Sklaven frei.«
»Wenn ich sie freilasse, murksen sie uns ab, wenn es sein muß mit den Zähnen. Seit über einem Monat liegen sie in diesen Lagerräumen und sind kurz davor,
wahnsinnig zu werden.«
»Ich nehme an, sie werden Ruhe bewahren, wenn sie
sehen, daß wir in der Nähe sind und sie versenken können. Sag ihnen, wie die Dinge jetzt stehen, und laß sie etwas frische Luft schöpfen.« Mit verächtlicher Geste setzte sie hinzu: »Und jetzt verschwinde, denn du bist mir einfach zuwider.«
Der Marseiller verließ die Messe und schwang sich
auf sein Schiff, während Kapitän Buenarrivo anmerkte:
»Er hat völlig recht. Wir können unsere Männer nicht auf die Maria Bernarda schicken, wenn wir nicht wollen, daß sie voller Läuse, Zecken und vielleicht
schlimmerer Parasiten zurückkommen. Das Schiff da
ist ein riesiger schwimmender Misthaufen. Was sollen wir mit ihm anstellen?«
»Hat es eine Chance, nach Afrika zurückzukehren?«
wollte Celeste wissen.
Der Venezianer blickte sie konsterniert an:
»Nach Afrika, jetzt, wo die Passatwinde blasen, und mit diesem Schrotthaufen? Nicht die geringste! Die
Überfahrt kann Monate dauern, und höchstwahrschein-
lich kommt es nie an.«
»Am besten, wir machen es wie dein Bruder«, mischte sich Miguel Heredia Ximenez ein, der Tag für Tag weniger Einfluß auf die Entscheidungen seiner Tochter nahm.
»In einer guten Woche würden wir all diese Leute an der Mündung des Orinoco aussetzen. Dort können sie
sich mit den freien Schwarzen zusammenschließen, die Sebastian dort an Land gebracht hat.«
»Aber es sind Afrikaner«, protestierte Celeste. »Ich habe mich doch nicht auf dieses Abenteuer eingelassen, um sie in den verlorenen Urwäldern eines fast unbekannten Kontinents auszusetzen, sondern um sie in ihre Heimat zurückzubringen.«
»Schlimmer kann es ihnen nicht gehen«, warf der stets gleichmütige Gaspar Reuter ein. »In Afrika wurden sie versklavt, und wahrscheinlich jagt man sie zu Hause erneut und verkauft sie.«
»Noch einmal: Ein Zurück gibt es nicht«, beharrte der Venezianer. »Tut mir leid, aber dieses Schiff kann nie und nimmer gegen den Wind segeln. Kaum ein Sklavenschiff ist dazu in der Lage.«
Offensichtlich wußte er nur zu gut, wovon er sprach.
Jedem noch so unerfahrenen Seemann war sehr wohl
bewußt, daß man die Sklavenschiffe eigens für den
Transport großer Menschenmassen entworfen oder zu-
mindest umgebaut hatte. Das hieß, soviel Fracht wie irgend möglich und minimale Besatzung.
Trotz fürstlicher Entlohnung war es beileibe nicht
leicht, Matrosen zu finden, die bereit waren, sich auf diese infernalischen Sklavenfahrten einzulassen. Daher war es erforderlich, die Manövrierfähigkeit der Schiffe so weit wie möglich zu vereinfachen, und das hieß, sie die meiste Zeit mit Rückenwind segeln zu lassen.
Die klassische Route eines Sklavenschiffs war daher immer die gleiche und von den Jahreszeiten abhängig.
Ende August verließ man Europa und segelte nach Sü-
den, bis man einen guten Monat später den Golf von
Guinea erreichte. Dort tauschte man die Ladung aus
Stoffen, Waffen, Munition, Spiegeln und billigem Tand gegen Sklaven. Mit vollen Laderäumen, in denen man
die Schwarzen wie Vieh zusammenpferchte, ging es
über den Atlantik in die Karibik. Die Passatwinde trieben das Schiff dabei direkt an die Küsten Guyanas oder der Antillen.
Wenn die menschliche Fracht am Zielort gelöscht war, fegte und schrubbte man die Laderäume wie verrückt, um Erbrochenes, menschliche Exkremente und Heerscharen von Parasiten loszuwerden. Anschließend lud man Kaffee, Zucker, Rum oder Kakao und schlug ab
April die Route zu den Küsten Floridas ein, von wo aus man mit Rückenwind nach Europa zurückkehrte.
Diese Rundfahrt bot zwei unschlagbare Vorteile. Zum einen konnte man stets auf günstige Winde zählen, zum anderen machte man gleich dreimal Profit: zunächst mit Tand, dann mit Sklaven und schließlich mit Zucker,
Kaffee, Rum und Kakao.
Schon vor über einem halben Jahrhundert war es im
alten Europa schick geworden, zum Frühstück Milch-
kaffee zu trinken und am Nachmittag Schokolade mit
Süßigkeiten zu sich zu nehmen. Was heute so alltäglich ist, galt damals
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