Piratin der Freiheit
und damit erneut auf Kaperfahrt zu gehen.
Die »gute alte Zeit« der karibischen Seeräuberei war zusammen mit Port-Royal untergegangen, aber im fast unbekannten Stillen Ozean wartete auf denjenigen, der den Mut hatte, sich in diese riesige Wasserwüste zu wagen, die ein Drittel der Erdoberfläche einnahm, eine verheißungsvolle Zukunft. Dort konnte man die Routen der mit Gold, Silber, Perlen, Seide, Gewürzen und Por-zellan beladenen Schiffe kontrollieren, die von Mexiko, Peru und Panama nach China, Japan und zu den Philip-pinen fuhren: ein neuer, riskanter Warenfluß, der so wichtig war wie vor hundert Jahren die Route zwischen Spanien und den Antillen, vielleicht noch wichtiger.
Der südliche Ozean war für die Seefahrer Ende des
17. Jahrhunderts ein wahres Mysterium. Man munkelte von der Existenz eines ganzen unerforschten Kontinents an den Antipoden, und sicher war mancher
Glücksritter der Meinung, mit einem so schönen Schiff wie der Dama de Plata diese Gewässer zu befahren,
mußte wesentlich einträglicher sein, als Sklaven zu befreien.
»Wir müssen sehr auf der Hut sein«, sagte Kapitän
Buenarrivo ein ums andere Mal, wenn man in der ge-
räumigen Offiziersmesse zu Abend aß. »Paßt auf wie
die Schießhunde, wenn euch das geringste Gerücht von Rebellion zu Ohren kommt. Diese Galeone ist ein zu
verlockender Kuchen, und mehr als einer dieser ver-
fluchten Kerle würde ihn sich nur zu gerne schnappen.«
»Im Augenblick sehe ich kein bißchen Aufruhr«,
meinte Hauptmann Sancho Mendana dazu. Er hatte
sehr engen Kontakt mit der Mannschaft, da er stunden-lange Schießübungen veranstalten ließ.
»Wirbelstürme kommen aus heiterem Himmel.« Bue-
narrivos Baß hallte in dem großen Saal wie Donner.
»Ein Kapitän muß immer auf der Hut sein, die Diszi-
plin an Bord wahren und den ersten, der aufmuckt,
kielholen lassen.« Dann lächelte er auf seine Weise und setzte viel leiser hinzu: »Sosehr wir das Schiff auch ausgeräuchert und desinfiziert haben, es stinkt noch immer nach Pirat.«
Nachdem man alle Sklaven an Land gebracht und die
Maria Bernarda mitsamt ihren Flöhen, Wanzen und
Läusen auf den Grund des Meeres geschickt hatte, gab es in jenen Gewässern nichts mehr zu tun. Celeste Heredia beriet sich ausgiebig mit den führenden Offizieren ihrer Crew, dann ließ sie die Anker lichten und befahl Kurs Afrika.
Die Überfahrt war ein quälend langes und beschwerliches Unterfangen. Gegenwinde zwangen sie immer
wieder zu kreuzen und die Segel zu reffen. Manche
lähmende Flaute hielt bis zu einer Woche an. Als sie bereits jedes Zeitgefühl verloren hatten, kam endlich eine schnurgerade flache Küste in Sicht, die sich in Richtung Südosten verlor. Mit ihrem dichten Regen-wald unterschied sie sich auf den ersten Blick kaum von der Küste, die jetzt hinter ihnen lag.
Sie schien jedoch fast unbewohnt zu sein, da man vom offenen Meer aus kaum etwas erkennen konnte, was
auch nur den Namen Ansiedlung verdient hätte. Die
wenigen Hütten, die sich gelegentlich in winzigen
Buchten abzeichneten, boten einen traurigen Anblick.
Offenbar hatte man sie schon vor geraumer Zeit verlassen.
Als sie aber an einem heißen Nachmittag ein kleines niedriges Kap umrundeten, stießen sie plötzlich auf ein halbes Dutzend Kanus. Etwa zwanzig Eingeborene
warfen ihre Netze auf dem ruhigen Wasser aus, flüchteten aber bei ihrem Anblick sofort derart panisch in Richtung Strand, als hätten sie kein Schiff, sondern den Leibhaftigen selbst erblickt.
Ohne ihre primitiven Boote an Land zu ziehen, sprangen sie an Land und verschwanden im Dickicht. Laute Rufe warnten alle, die in der Nähe waren, vor der Gefahr.
»Gütiger Himmel!« rief Miguel Heredia aus. »Diese
armen Leute sind ja völlig verängstigt.«
»Wie würde es dir gehen, wenn du wüßtest, daß dich
in Gefangenschaft der Weißen ein schlimmeres Schicksal als der Tod erwartet?« gab seine Tochter zurück.
»Laut Buenarrivo müssen wir unmittelbar in der Nähe von Kap Palmas sein. Hier beginnt die eigentliche
Sklavenküste. Erstaunlich, daß überhaupt noch jemand hier ist.«
Zwei Tage später erreichten sie tatsächlich Kap Palmas. Dort knickte die nach wie vor flache gerade Küste nach Nordwesten ab. Hier begann der Golf von Guinea, der Ende des 17. Jahrhunderts das Zentrum des Sklavenhandels war.
Es dauerte nur einige Tage, bis das erste Sklavenschiff auftauchte: eine schmutzige, etwa vierzig Meter lange Brigg mit jeweils zwölf Kanonen
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