Piratin der Freiheit
ein aufrechter und strenger Mensch. Er hat sich um meine Erziehung ge-kümmert, bis ich in die Armee eintrat.« Er machte eine Pause, als müsse er Kraft oder Luft schöpfen, um seine Geschichte fortzusetzen. Im gleichen Tonfall fuhr er fort: »Jahre später, als ich schon Leutnant war, kam ich von einer Italienreise zurück, und kurz bevor ich nach London kam, lernte ich Caroline, eine faszinierende Frau, kennen. Mit ihr erlebte ich einen Monat im siebten Himmel, aber dann verschwand sie plötzlich, als hätte die Erde sie verschluckt…«
Jetzt schien ihm sein Bericht wirklich zu schaffen zu machen. Er setzte sich auf die Reling und biß sich immer wieder auf die Lippen.
»Ich war verzweifelt!« gestand er beschämt. »Einfach verzweifelt. Überall habe ich nach ihr gesucht, aber es half alles nichts, und schließlich beschloß ich, un-glücklich und entmutigt nach Hause zurückzukehren,
um meinen Kummer bei meinem Vater zu vergessen.«
Er schnalzte mit der Zunge, als könne er diese Tatsache kaum zugeben. »Ich traf ihn glücklicher denn je an, denn er hatte wieder geheiratet…« Er sah ihr in die Augen. »Und rate mal, wer seine Frau war…«
»Caroline…?« fragte Celeste fast ängstlich.
»Genau!« schallte es zurück. »Du kannst dir vorstellen, wie entsetzt und fassungslos ich war. Sie gab vor, mich nicht zu kennen, und aus Respekt vor meinem
Vater habe ich ebenfalls geschwiegen.«
»Was für ein Zufall.«
»Von wegen Zufall«, widersprach ihr der Engländer.
»Mit der Zeit entdeckte ich, daß alles perfekt geplant gewesen war. Caroline war sich sehr bald klargeworden, daß mein Vater schon zu alt war, um mit ihr ein Kind zu zeugen. Doch wenn sie eine gesicherte Zukunft haben wollte, mußte sie ihm einen Sohn schenken. Also machte sie mich in London ausfindig, verführte mich und blieb so lange bei mir, bis sie sicher war, schwanger zu sein.«
»Aber warum ausgerechnet du?« Celestes Frage
drängte sich geradezu auf. »Warum nicht irgendein
anderer?«
Gaspar Reuter lächelte ironisch, während er sich immer wieder mit dem Finger auf sein markantes Kinn
tippte.
»Deshalb! Zu den besonderen Merkmalen meiner Fa-
milie gehören schon seit über drei Jahrhunderten ein vorstehendes Kinn, himmelblaue Augen und rötliche
Haut mit Sommersprossen. Mein Vater hätte ernsthaft an seiner jungen Gattin gezweifelt, wenn sie ihm einen Sohn ohne das >Markenzeichen der Kindersley< geschenkt hätte.« Er lächelte bitter. »Und das konnte nur ich ihr verschaffen.«
»So ein Luder…!«
»Du sagst es. Dieses verdammte Luder hatte die Sache mit mathematischer Präzision kalkuliert. Aber das ist noch nicht alles.«
»Was kommt denn noch?«
»Es passierte ein Jahr später. Der Sohn war schon geboren, und mein Vater hatte nicht den geringsten Zweifel daran, daß sein Blut in dessen Adern floß. Allerdings hätte er nicht im Traum daran gedacht, daß dieses Blut den Umweg über mich genommen hatte. Da ließ
mich Caroline eines Tages rufen. Angeblich wollte sie mich um Verzeihung bitten und mit einer Art Abkom-men für familiäre Harmonie sorgen. Kaum war ich aber in ihrem Zimmer, da begann sie um Hilfe zu schreien, zerriß sich das Kleid, schlug ihren Kopf gegen die
Wand, und als die Diener kamen, beschuldigte sie
mich, ich hätte versucht, sie zu vergewaltigen.«
»Verfluchte Hexe! Kaum zu glauben!«
»Glaub wenigstens du mir, mein Vater hat es jeden-
falls nicht getan! Er glaubte ihr, ließ mich aus dem Haus werfen, enterbte mich und wollte mich niemals
wiedersehen!«
»Gütiger Gott! Diese Frau ist ja ein Monstrum!«
»Du sagst es! Zwei Jahre später starb mein Vater unter seltsamen Umständen, und Caroline bemächtigte sich
aller Güter der Familie Kindersley, da ihr Sohn nach dem Gesetz der einzige rechtliche Erbe war.«
»Und du, was hast du getan?«
Gaspar Reuter machte wieder eine lange Pause, bevor er antwortete, und betrachtete den Himmel, wie er immer dunkler wurde. Schließlich murmelte er, als ob er das, was er sagte, nicht wahrhaben wollte, ohne Celeste dabei anzusehen:
»Eines Nachts kehrte ich in das Schloß zurück, wo ich aufgewachsen war und daher alle verwinkelten Gänge
kannte. Heimlich drang ich über die Ställe ein, erreichte ihre Gemächer, zerrte sie heraus und knüpfte sie an der alten Eiche auf, unter der mein Vater zu lesen pflegte.«
»Gütiger Himmel! Wie grauenvoll, aber sie hatte es
mehr als verdient…«
»Das will ich meinen…! Obwohl ich niemals
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