Piratin der Freiheit
unerforschten Kontinents befanden.
Zu guter Letzt machten drei faule Löwen ihre majestä-
tische Aufwartung.
Löwen!
Richtige Löwen mit langer Mähne und gelblichen
Zähnen, die auf einer Uferbank im Schatten vor sich hin dösten und sich kaum dazu herabließen, ein Auge zu öffnen, trotz der sichtbaren Aufregung, die ihre Anwesenheit bei jener seltsamen menschlichen Spezies
vom anderen Ende der Welt hervorrief.
Löwen!
Sie änderten ein wenig den Kurs, um sie aus der Nähe zu betrachten, aber keinem Besatzungsmitglied kam es in den Sinn, auf sie zu feuern, denn in jenen Zeiten hatten es die Menschen noch nicht nötig, ein schönes Tier nur deshalb zu töten, um dessen Fell als makabren Beweis einer angeblichen Heldentat zu präsentieren.
Alle, die auf den beiden Schiffen fuhren, hatten ihren Mut bereits mehr als genug bewiesen, und daher waren jene Löwen, ebenso wie die Giraffenfamilie oder die lärmende Elefantenhorde nur der lebende Beweis dafür, daß sie in der Lage gewesen waren, die gefährlichen Sümpfe des Nigerdeltas zu durchqueren. Nun hatten sie mit heiler Haut die weiten Regionen erreicht, in denen es vor wunderbaren Bestien wie diesen nur so wimmelte, die sie mißmutig anknurrten und mit dem Schwanz die Fliegen verscheuchten.
Einige Stunden später, während sie durch eine Fluß-
schleife fuhren, sahen sie einen sehr langen, klapper-dürren pechschwarzen Mann, der sich auf ein Bein und einen langen Speer stützte. Er zeichnete sich gegen die rote Scheibe einer Sonne ab, die bereits den Horizont berührte, und betrachtete die Schiffe so gelassen, als handelte es sich nur um eine weitere Giraffe.
»Warum hat er keine Angst?« wollte Celeste wissen.
»Keine Ahnung«, erwiderte Pater Barbas, während er
einem seiner Ruderer einen Wink gab, den Grund her-
auszufinden, warum dieser beunruhigende Mensch
nicht geflohen war wie seine Nachbarn.
Der Krieger sprang kopfüber ins Wasser, schwamm
zum nahen Ufer, ging auf den Schwarzen mit dem
Speer zu, der regungslos stehenblieb. Kurz darauf
machte er kehrt und kletterte atemlos an Bord.
»Wer ist das?« wollte der Navarrese wissen.
»Ein Hirte.«
»Und warum hat er keine Angst?«
»Er ist taub.«
In dieser Nacht träumte Celeste Heredia immer wieder von dem einsamen Hirten, dessen Silhouette sich gegen die Sonnenscheibe abzeichnete. Dieses Bild sollte sie ihr ganzes Leben lang nicht vergessen. Oft kehrte es völlig unverhofft in ihr Gedächtnis zurück, ohne daß sie gewußt hätte, warum. So klar wie damals, als sie ihn leibhaftig erblickt hatte, stand ihr dann dieses Bild vor Augen. Dieser taube alte Mann, der so einsam und
weltfern war, daß er nicht wußte, warum seine Mitmenschen ihr Zuhause verlassen hatten, ja es vielleicht nicht einmal mitbekommen hatte, daß er plötzlich in weitem Umkreis der einzige Mensch war. Für Celeste
sollte er bis zu ihrem Tod das Symbol des wahren Sinns ihrer gefährlichen Reise bleiben.
Oft wählt das menschliche Hirn unter allen Erinne-
rungen eine einzige absurde aus und versieht sie mit einem unauslöschlichen Brandzeichen, so daß sie unwill-kürlich immer wiederkehrt. An Millionen wichtigere
Szenen konnte man sich erinnern, aber nur wenige
kehrten einfach so, ohne bewußtes Erinnern, ins Ge-
dächtnis zurück.
Weder die bitteren Leiden ihrer Kindheit noch das ersehnte Wiedersehen mit ihrem Bruder oder der brutale Schlag, den es bedeutete, mit anzusehen, wie die Erde unter ihren Füßen bebte und eine ganze Stadt binnen Sekunden verschwand, vermochten in späteren Jahren
eine solche Kraft unter ihren Erinnerungen zu gewinnen wie jener ferne und unbekannte afrikanische Hirte.
Den Grund für dieses seltsame Phänomen sollte sie
nie herausfinden, ebensowenig wie die meisten Men-
schen wissen, warum eine Melodie, ein Duft, ein Wort oder ein Bild plötzlich Teil ihrer Person wird wie Augen, Nase oder Mund.
In dieser seltsamen Nacht träumte sie immer wieder
von dem Schwarzen mit dem Speer, bis die rauhe
Stimme des Spottsängers klar und deutlich an ihr Ohr drang:
»Männer an die Ruder!«
»Männer an die Ruder!«
»Rudert, Süßwassermatrosen!«
»Rudert, Süßwassermatrosen!«
Die Taue spannten sich.
»Löwen backbord!«
»Löwen backbord!«
»Elefanten steuerbord!«
»Elefanten steuerbord!«
Man holte die Anker ein.
»Und dort vorn im Morgenrot…!«
»Und dort vorn im Morgenrot…!«
»Warten Blut und schlimmer Tod…!«
»Warten Blut und schlimmer Tod…!«
Meter um
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