Piratin der Freiheit
»Warum
beten wir zu ihm? Wenn er nicht die leiseste Vorstellung davon hat, was mit einer ganzen Menschenrasse
geschieht, wie soll er dann wissen, was in jedem einzelnen von uns vorgeht?«
»Keine Ahnung«, gab seine Tochter zu. »Wenn ich
ehrlich sein soll, habe ich mir diese Frage noch nicht einmal gestellt, ebensowenig wie Pater Barbas, und der hätte wesentlich mehr Grund dazu als ich. Die Vorstellungen von >Gott< und >Sklaverei< sind meiner Meinung nach so unvereinbar, daß man sie nicht einmal im gleichen Atemzug nennen kann. Wenn Gott existiert,
dann dürfte es logischerweise keine Sklaverei geben, und wenn die Sklaverei existiert, dann gibt es keinen Gott.«
»Aber die Sklaverei existiert. Überall um uns herum ist sie…!« stellte ihr Vater klar. »Soll das heißen, daß Gott nicht existiert?«
»Logischerweise sollte er dann nicht existieren, aber das ist nur menschliche, nicht göttliche Logik.« Das Mädchen streichelte liebevoll den weißen Bart ihres Vaters und küßte ihn sanft auf die Wange. »Aber ich glaube nicht, daß uns so eine Diskussion irgendwohin führt. Wenn die katholische Kirche und der Islam die Sklaverei akzeptieren und in gewisser Weise sogar fördern, welche moralische Autorität haben wir dann bei diesem Thema?«
»Die Autorität unseres eigenen Gewissens, und das ist im Grunde mehr wert als Islam und Christentum zusammen.«
»Wohl wahr…«, räumte Celeste Heredia unbefangen
ein. »Das Gewissen ist das einzige, was unser Handeln bestimmen sollte, anstatt uns auf Gott zu verlassen, dessen Gewissen vielleicht nichts mit dem unsrigen ge-
mein hat…« Sie starrte auf einen Punkt in der Ferne, und ohne ihren Vater anzusehen, fuhr sie fort: »Wir haben allen Anlaß, auf unseren Sieg zu vertrauen, aber ich kann nicht vergessen, daß wir uns auf einem unerforschten Kontinent befinden. Oft habe ich das Gefühl, jeden Augenblick könnte >etwas< auftauchen, was unsere Hoffnungen am Boden zerstört. Vergiß nicht, als Sebastian Mombars besiegt hatte, waren wir unermeß-
lich reich und die Zukunft schien uns wunderbar. Doch dann kam plötzlich ein Erdbeben, und unsere Glückse-ligkeit war mit einem Schlag dahin.«
»So muß es nicht immer sein«, meinte ihre Vater.
»Nicht immer versteift sich das Schicksal darauf, uns heimzusuchen.«
»Erzähl das diesen armen Schwarzen, die das Schick-
sal seit Jahrhunderten unaufhörlich heimsucht…« Wieder blickte Celeste starr auf das Ufer, schlug die Augen nieder und fragte schließlich: »Ist das nicht der Hirte von gestern nachmittag?«
»Das ist er.«
»Ich habe die ganze Nacht von ihm geträumt, und jetzt folgt er uns offenbar.«
»Ich nehme an, daß wir für einen gelangweilten Hirten einer gottverlassenen Gegend, deren wenige Bewohner sich aus dem Staub gemacht haben, ein ganz schönes
Schauspiel abgeben.«
»Und was weidet er? Büffel?«
»Das scheinen mir eher Ochsen zu sein. Nur die Hör-
ner kommen mir zu lang vor.«
»Er hat ganz schön viele.«
»Tatsächlich eine ganze Menge.«
»Das heißt, daß wir ganz schön blöd sind.«
Miguel Heredia sah sie leicht pikiert von der Seite an.
»Was soll das denn nun?« wollte er wissen.
»Da lassen wir unsere Männer Bohnen und Dörr-
fleisch essen und wie die Maultiere rudern, dabei könnten wir einige saftige Koteletts verspeisen, während ein Haufen Ochsen unsere Schiffe zieht!«
»Sag das Pater Barbas.«
Am Mittag zog der köstliche Duft von drei am Spieß
gebratenen Langhörnern bis zum Ufer, während fast
fünfzig Ochsen gemächlich, aber unermüdlich die zwei schweren Schiffe zogen. Inzwischen schien das Gerip-pe von einem Hirten zum reichsten Mann der Welt ge-
worden zu sein, denn um seinen Hals und an seinen
Armen hingen alle möglichen Ketten, Reife, Spangen, Tücher, Töpfe und was ein Mensch noch alles tragen
konnte, ohne vom Gewicht erdrückt zu werden.
Er war vielleicht taub, aber glücklich lächelnd präsentierte er allen, die ihm von Deck aus zuwinkten, stolz seine Schätze und fragte sich, wie es möglich war, daß eine verrückte Bande weißer Männer auf ihren riesigen schwimmenden Häusern nur so dumm sein konnte, drei
elende Ochsen für die prachtvollsten Reichtümer einzutauschen, von denen einer je geträumt hatte.
In der Zwischenzeit genossen diese Männer das Fest-
mahl und fragten sich, wie einer so infantil und naiv sein konnte, drei schöne Ochsen für einen läppischen Haufen Tand einzutauschen, für den kein Mensch, der bei klarem
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