Piss off! Ein Engel zum Fürchten (German Edition)
entgegenzunehmen. Nikotingetränkte Stadtpläne zierten die vergilbten Wände, ein alter Schwarzweiß-Fernseher stand auf einer wackeligen Kommode und lief ohne Ton.
„Ja oder nein?”, wiederholte die Frau.
„Sie haben mir gesagt, es handle sich um eine Telefontätigkeit. Ich hatte keine Ahnung, dass damit eine Taxizentrale gemeint war.”
Die Frau schwieg. Asche fiel von der Zigarette auf ihren weißen Pullover. Sie wischte sie beiläufig weg und fragte: „Kaffee?”
„Gerne”, antwortete ich.
Sie verschwand, auf sehr hohen Pumps balancierend, in einem Raum, der noch winziger als der war, in dem sie mich zurückließ. Ich hörte, wie sie flüchtig eine Tasse im Spülbecken wusch, nach einem Löffel suchte. Schließlich kam sie mit einer Tasse in der rechten und einer Büchse Dosenmilch in der anderen Hand zurück, einen dunklen Fleck von der Zigarettenasche vorn auf ihrer Brust.
„Sie könnten die Nachtschicht übernehmen. Ab zwei Uhr ist kaum noch was los. Sie hätten jede Menge Zeit.”
„ Mag ja sein. Aber ich kenn’ mich in der Stadt nicht aus. Ich weiß nicht mal, wie die wichtigsten Hauptstraßen heißen. Ich kenne keine Kneipen, keine Krankenhäuser, keine Ämter, absolut nichts.”
„ Ich werde Sie einarbeiten. Es ist wirklich nicht schwer, wir sind nur eine kleine Zentrale. Und wenn Sie nach einer Woche der Meinung sind, der Funkdienst ist nichts für Sie – bitte, dann können Sie jederzeit wieder gehen. Ich bin übrigens Jutta.”
Ich verließ sie mit dem Versprechen, in zwei Tagen erneut vorbeizukommen, ihr zwei Stunden lang über die Schultern zu sehen und mir den Job in allen Einzelheiten erklären zu lassen. Als ich ihr die Hand gab, um mich zu verabschieden, stand sie von ihrem Sessel auf, blies hektisch den Rauch aus und sagte: „Sie haben hübsche Augen, wissen Sie das?”
Ich lächelte verlegen und brachte ein holpriges „Also dann – bis übermorgen” raus. Draußen drehte ich mich noch einmal um und sah sie winkend am Fenster. Ein Gefühl von Zuhause stellte sich ein.
Blieb noch die Sache mit Monty.
****
›TNT‹ von AC/DC dröhnte durch die Wohnung; ich stand in der Küche und nahm die Suppe vom Herd. Während ich aß, beobachtete ich die Passanten unten auf der Straße, die durch den Regen hasteten, um nach Hause zu kommen. Das Straßenbild wirkte inzwischen vertraut, und es gab Gesichter dort unten, die ich schon ein zweites oder drittes Mal sah. In mir regte sich – noch scheu – das Gefühl, auf dem richtigen Wege zu sein.
Ich beschloss, Monty eine Nachricht an die Tür zu heften, dass ich für ihn mitgekocht hatte. Dann fiel mir ein, dass er die Suppe im Topf wohl selbst finden würde, und verwarf die Idee mit dem Zettel. Stattdessen lief ich in mein Wohnzimmer, stoppte die Platte und schaltete den Fernseher ein. Ich holte mir eine zweite Portion und machte es mir auf dem Bett bequem, nur um festzustellen, dass ich eigentlich keinen Hunger mehr hatte. Ich stand auf und sah zum zweiten Mal auf die Straße hinaus. Ohne es mir einzugestehen, war ich von einer merkwürdigen Unruhe erfasst, die mich durch das Zimmer laufen ließ wie Rilkes Panther in seinem Käfig. Ich wartete. Wartete darauf, dass Monty endlich kam.
Um mich abzulenken, nahm ich ein Tape fürs Umbruch auf, eine erlesene Mischung aus dreißig Jahren Popmusik, deren perfekte Zusammenstellung Anlass zu komplexen Überlegungen gab, so dass sich mein Gehirn wenigstens eine Zeitlang mit etwas anderem als Monty beschäftigen konnte. War es beispielsweise erlaubt, einen Song wie ›Transmission‹ von Joy Division auf das Stück ›Old Man With Young Ideas‹ von Ann Peebles folgen zu lassen, um die jeweilige Einzigartigkeit beider Songs durch den harten Kontrast zu verstärken – oder war es feinfühliger, mit Marc Bolans ›Life’s A Gas‹ dahinterzusetzen, um die Stimmung von Ann Peebles’ Liebeslied aufzufangen und auf andere Art, mit anderen Mitteln weiterzuspinnen? Ich war kein Freak, der Musik zur Religion erhob, ich war nur der Ansicht, dass alles eine Frage der Präsentation ist, und ein gutes Stück auf einem miesen Tape, eingeklemmt zwischen belanglosem Schrott, gerät in Gefahr, selbst wie dumpfe Fließbandware zu klingen. Ein gutbespieltes Tape gleicht einer Perlenkette. Natürlich kann man falsche Perlen für die Kette verwenden, und nicht jedem fällt der Unterschied auf. Aber nur ein Idiot käme auf den Gedanken, unter die falschen Perlen der Kette eine echte zu mischen und
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