Pitch Black
das ihm einfiel, um den seltsamen, abwesenden Zustand ihres Sohnes zu beschreiben. »Die vier Jungs sind bei dem Unwetter vom Berg heruntermarschiert. Jordan hat eine Menge durchgemacht. Er braucht euch beide jetzt.« Er warf einen Blick zu Bobby, der eine Hand auf Kates Schulter legte und ihm zunickte.
»Wie…wie ist es denn zu dem Sturz gekommen?« Kates Stimme war nicht einmal ein Flüstern.
»Das wissen wir noch nicht. Wichtig ist im Moment nur, dass sich jemand um Jordan kümmert. Lasst euch bitte Zeit und kommt erst mal zu euch, bevor ihr zu ihm geht.«
Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie zögernd nickte.
Bobby umfasste ihre Schultern und zog sie an sich. Sie lehnte sich auf eine Weise an ihn, die Gabe an eine weit zurückliegende Begebenheit erinnerte. Als Gabe noch neu auf der Highschool war und Bobby und Kate bereits die oberste Klasse besuchten, kam ein Freund von Kate bei einem Autounfall ums Leben. Sie erfuhr es während eines Basketballspiels und brach völlig zusammen. Bobby, der Korbjäger und Mannschaftsführer, lief sofort vom Spielfeld, half ihr hoch und führte sie nach draußen vor die Sporthalle. Nicht zum ersten Mal fragte sich Gabe, wie zwei Menschen, die ihr ganzes Leben die besten Freunde gewesen waren, eine Ehe hatten führen können, die in einer Scheidung endete. Was war heutzutage nötig, damit eine Ehe dauerhaft hielt?
Bei diesem Gedanken fiel ihm gleich noch etwas anderes ein. »Soll ich jemanden verständigen? Ist Todd schon hierher unterwegs?« Gabe war sich unschlüssig, ob Steves 19-jähriger Sohn für Kate und Jordan eine Hilfe wäre oder ob seine Anwesenheit alles nur schwieriger machen würde.
Kate schluchzte leise. »Er ist bei der Arbeit…in der Videothek. Das wird ihn schwer treffen…«
»Ich rufe ihn an«, sagte Bobby zu Gabe.
»Ich lasse euch ein paar Minuten in Ruhe.« Gabe ging aus dem Zimmer, noch bevor Kate die Fassung wiedererlangte–und sich fragen konnte, warum keiner der Jungen bei Steve geblieben war, wenn dieser verletzt war.
Gott, manchmal hasste Gabe den Umstand, dass in einem so kleinen Ort praktisch jeder jeden kannte! Nicht zum ersten Mal sehnte er sich nach der Anonymität großer Städte, wo man schlechte Neuigkeiten Menschen überbrachte, die einem völlig fremd waren.
Auf dem Weg zu Ethans Behandlungszimmer überlegte Gabe, welche Belastung dieser unselige Unfall für Ethan und Madison bedeuten würde. Sie waren neu hier, und die Umgewöhnung von der Groß- zur Kleinstadt–einer Kleinstadt in den Südstaaten obendrein–war beiden nicht sonderlich leichtgefallen. In den ersten Wochen hatte Ethan beharrlich die Haltung eines Menschen an den Tag gelegt, der wegen drohenden Ärgers ständig auf der Hut ist. Er war durch den Ort gegangen, als rechne er jeden Moment damit, dass jemand auftauchen und ihn zusammenschlagen würde. Erst in letzter Zeit war Gabe aufgefallen, dass der Junge lockerer wurde und seine Körpersprache verriet, dass er nicht mehr ständig mit dem Schlimmsten rechnete. Und wenn Ethan sich zunehmend entspannte, galt das auch für seine Mutter.
Direkt vor dem Behandlungsraum blieb Gabe stehen und betrachtete Madison durch einen Spalt im Vorhang. Im grellen Licht der Neonröhren sah ihre Haut blass aus. Er wusste nicht, ob sie vor Kälte oder vor Sorge so bleich war.
Ihre dunklen Haare hatten sich in der Feuchtigkeit gelockt–sie erschien weicher und weiblicher als mit der üblichen glatten Frisur. Er wollte ihr sagen, sie solle ihr Haar doch die ganze Zeit so tragen…doch andererseits ging ihn das wirklich nichts an. Nicht, dass er nicht alles getan hätte, damit es ihn etwas anging.
Seit er ihr das erste Mal bei einer Sitzung der County-Verwaltung begegnet war, wo sie alle möglichen Fragen gestellt hatte, auf die nur eine Außenstehende kommen konnte, hatte Gabe alles versucht, um ihr näherzukommen. Es war ein bisschen, als wollte man ein Wildtier zähmen–und zwar eher einen Puma als ein Reh. In ihren Augen flackerte der Hunger einer Bergkatze, und doch hielt sie argwöhnisch Abstand und lehnte jede seiner Einladungen und Angebote ab.
Madison Wade war eine starke, selbstsichere Frau und offensichtlich entschlossen, ihr Leben nicht unnötig zu verkomplizieren. Er musste sich gedulden und darauf hoffen, dass eines Tages die Sehnsucht nach Zweisamkeit überhandnehmen würde. Es konnte allerdings nicht schaden, sich immer mal wieder in ihrer Nähe zu zeigen und ihr in Erinnerung zu rufen, was sie sich da
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