Pitch Black
wissen ja, wie das ist, wenn die Beweise einfach nicht ausreichen, um das zu bestätigen, was Ihr Instinkt Ihnen sagt.«
Gabe hätte ihm beinahe gestanden, dass er mit diesem Problem zum ersten Mal zu kämpfen hatte: Sein Instinkt sagte das eine, die Beweise was anderes. Stattdessen fragte er: »Was genau hat Ihnen denn Ihr Instinkt gesagt?«
»Sie ist zweifelsfrei an dem Sturz gestorben, aber ich glaube, sie ist nicht von allein die Treppe hinuntergefallen. Vielleicht hatte es einen Streit gegeben, der zu Handgreiflichkeiten geführt hat, vielleicht steckte keine Absicht dahinter. Vielleicht hat er sich aber auch von hinten angeschlichen und ihr einen kräftigen Schubs gegeben. Wie auch immer–offensichtlich ist sie über die ersten Stufen hinweggeflogen. Die Spuren ihres Sturzes beginnen bei der sechsten Stufe. Und die Stufen waren aus Holz und nicht mit Teppich ausgelegt.«
»Wenn Sie von ›er‹ reden, meinen Sie vermutlich ihren Ehemann Steve?«
»Ja. Ein paar Nachbarn hatten den Verdacht, dass irgendetwas in dem Haus nicht stimmte. Natürlich konnten sie keine Einzelheiten bezeugen, nur, dass Cheryl nervös und unruhig war. Einige gingen sogar so weit zu behaupten, dass sie verängstigt wirkte.«
»Und das war eine Abweichung von ihrem normalen Verhalten?«
»Laut Aussage aller, mit denen ich gesprochen habe, einschließlich ihrer Familie. Aber niemand hatte etwas mitbekommen, das der Grund für ihre Veränderung hätte gewesen sein können. Und jeder bestand darauf, Steve sei ein großartiger Mensch und die Vorstellung, er könne jemanden misshandeln, einfach absurd. Sie wissen ebenso gut wie ich, dass es meistens genau so ausgeht.«
»Gab es irgendwelche Anzeichen, dass einer der beiden Ehepartner ein außereheliches Verhältnis hatte?«
»Nicht eins. Falls einer von beiden ein Verhältnis hatte, muss er außerordentlich diskret damit umgegangen sein. Mr McPherson hat ausgesagt, seine Frau sei in den Monaten vor dem Unfall depressiv gewesen. Er verstieg sich sogar zu der Behauptung, sie habe sich absichtlich die Treppe hinuntergestürzt.«
»Hmm. Gab es eine Versicherung?«, fragte Gabe.
»Nein. Nicht einmal eine kleine, die die Beerdigungskosten abgedeckt hätte. Wäre es um eine größere Versicherungssumme gegangen, hätte ich vielleicht etwas gehabt, um einen Fall darauf aufzubauen.«
»Hat sich Steve McPherson einem Lügendetektortest unterzogen?«
»Ja. Sogar freiwillig. Das Ergebnis war uneindeutig. Sein Alibi war schwach, aber immerhin hatte er eins, zumindest für den Zeitpunkt, an dem mit hoher Wahrscheinlichkeit ihr Tod eintrat. Er war auf der Bank, um ein Darlehen aufzunehmen. Offensichtlich wollten sie den Jungen im kommenden Herbst auf eine Privatschule schicken.«
»Wirklich? Gab es dafür einen Grund?«
»So ungewöhnlich war das nicht. Viele Leute haben damals ihre Kinder auf kirchliche Schulen wechseln lassen…Sie wissen schon, die Schießereien an den Schulen und all das machte die Eltern einfach nervös.
Nach der Bank ist McPherson zum Essen gegangen und dann zur Arbeit. Dazwischen wäre genug Zeit geblieben, aber wenn man sonst nichts hat…«
Gabe hatte sich mehr erhofft–diese Probleme erinnerten nur zu sehr an seinen eigenen Fall. Er unternahm noch einen letzten Versuch.
»Irgendwelche forensischen Indizien, die es wert wären, dass man sie noch mal unter die Lupe nimmt?« In den letzten Jahren hatte die Auswertung von DNS-Proben große Fortschritte gemacht.
»Nein. Unter den Nägeln des Opfers war nichts. Es gab nicht das geringste Anzeichen für einen Angriff. Alles deutete auf einen Unfall hin.«
»Bis auf Ihren Instinkt.«
»Und der ist bei Gericht nicht zulässig«, entgegnete Fiore trocken.
Gabe dankte dem Captain und legte auf. Ein paar Minuten starrte er die Wand an und fragte sich, ob ihn sein jetziger Fall wohl auch noch in zehn Jahren beschäftigen würde.
Dann stand er auf, um Bobby Gray einen längst fälligen Besuch abzustatten.
Shelly Mitthoeffer stand hinter dem Tresen der Videothek und beobachtete ihn dabei, wie er sie beobachtete. Sie wusste, dass es keinen Grund für ihn gab, jetzt hier zu sein. Aber so lief es schon seit fast zwei Wochen. Er war einfach nur da, damit sie wusste, dass er sie beobachtete.
Seit dem Tag, an dem sie mit dieser Journalistin gesprochen hatte, war er noch aggressiver geworden. Dass sie die Frau hatte abblitzen lassen, hatte keine Rolle gespielt.
Während er mit einem anderen Kunden sprach, starrte er sie über
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