Pitch Black
setzte sich wieder in Bewegung. »Da sind wir.«
Sie waren vor einem Spind stehen geblieben, dessen Tür direkt am Riegel stark verbogen war. Spuren eines Brecheisens waren an der Farbe des Rahmens zu sehen. Der Täter hatte seine Tat nicht verbergen wollen.
»Sie können die Tür einfach aufmachen«, sagte Mrs Gibbon. »Ich habe Ethans persönliche Sachen entfernen und die Bücher in einen anderen Spind legen lassen. Die Polizei hat die Fotos und die übrigen Sachen mitgenommen.«
Madison zögerte. »Welche anderen Sachen?«
Ein Ausdruck von Abscheu huschte über Mrs Gibbons Gesicht. »Eine tote Ratte. Eine leere Bierdose. Eine Handvoll Pillen. Und ein Stein.« Die Direktorin schien sich über die Bedeutung dieser Dinge völlig im Klaren zu sein.
»Als Außenseiter hat man in dieser Stadt ganz schön mit Vorurteilen zu kämpfen, nicht wahr?«
Zum ersten Mal vermied Mrs Gibbons den Blickkontakt. Madison hätte nicht sagen können, ob sie das tat, weil sie der Botschaft zustimmte und dem, was daraus folgte, oder weil sie sich schämte, dass ihre Mitmenschen so oberflächlich und schnell mit einem Vorurteil bei der Hand waren.
»Gibt es im und um das Gebäude herum Überwachungskameras?«
»Dafür bestand nie die Notwendigkeit.« Ihre Stimme klang gerade anklagend genug, dass Madison beschloss, keine weiteren Fragen zu stellen.
Mit angehaltenem Atem öffnete sie mit einem Finger den Spind.
»Wie ich bereits sagte, hat die Polizei alles außer Ethans Büchern mitgenommen.«
Der Spind war leer. Madison wurde klar, dass ihre Anspannung daher kam, dass sie sich den Moment vorstellte, in dem ihr Sohn diese Tür geöffnet und die hasserfüllte Botschaft gefunden hatte. Sie ließ den Atem herausströmen, nicht aber die Wut, die in ihr hochkochte, als sie die beschädigte Tür schloss.
Schweigend kehrten sie ins Büro zurück. Ethan wartete draußen am Empfangstresen, den Rucksack neben seinen Füßen.
Madisons Herz krampfte sich noch mehr zusammen. Er sah besiegt aus, zerbrochen. »Können wir los?«
Er nickte und schwang sich den Rucksack auf die Schulter.
»Ms Wade?«, sagte die Direktorin, bevor sie aus der Tür waren.
»Ja?«
»Ich glaube, es ist das Beste, wenn Ethan die nächsten Tage zu Hause bleibt.«
Der »Vorschlag« kam in einem Ton, der keinen Aufschluss darüber zuließ, aus welchem Grund er gemacht wurde. Ging es um Ethans Sicherheit, oder betrachtete sie Ethan als Bedrohung?
Gabe parkte vor der Doppelhaushälfte der Henrys und stellte den Motor ab. Er hing in der Warteschleife und wartete darauf, dass die Rechtsmedizinerin ans Telefon kam. Die Sonne brannte durch die Windschutzscheibe. Er öffnete das Fenster und legte den Ellbogen auf den Rahmen.
Seit Madison heute Morgen aus seinem Jeep gestiegen war, hatte ihre Wut an ihm genagt. Er saß wirklich zwischen allen Stühlen. Logische Schlussfolgerungen wiesen ihn in die eine Richtung, Intuition in die andere. Und sosehr er sich auch um Objektivität bemühte, fand er doch keine Antwort, die er akzeptieren mochte.
Er missachtete seine Pflichten, und die Verantwortung gegenüber den Leuten in seinem County war nur eine davon. Die Verpflichtung seiner Familie gegenüber war eine andere. Was, wenn Gabes Fehlverhalten dem Wahlkampf seines Vaters schadete? Seinen Instinkten zu folgen, wenn er recht hatte, war eine Sache. Aber wenn er nicht recht hatte? Dann konnte er seinen Vater mit ins Verderben reißen. Und auch wenn er und sein Vater bei vielen Themen unterschiedlicher Meinung waren, war sein Vater der denkbar beste Gouverneur für diesen Staat.
Fragen, denen Gabe lange ausgewichen war, ließen sich nun nicht mehr länger verdrängen.
War Ethan viel klüger und viel verschlagener, als Gabe oder Maddie vermuteten? Gabe hatte über viele Fälle gelesen, in denen Psychopathen bestens angepasst wirkten, sodass die Menschen, die ihnen nahestanden, nicht das Geringste bemerkt hatten. Wie viel wusste Maddie über Ethans Kindheit, jene Zeit, die die menschliche Psyche formt und prägt?
Ethan war es gelungen, dem Jugendamt aus dem Weg zu gehen, daher würde es keine psychologischen Gutachten geben und auch sonst keine Unterlagen. Maddie konnte nur das wissen, was Ethan ihr selbst erzählt hatte. Falls er körperlich und seelisch misshandelt worden war, könnte das seinen gesteigerten Beschützerinstinkt erklären.
Verdammt. Es war klar, wer ihm als Verdächtiger am ehesten ins Auge fallen würde, wären da nicht seine Gefühle für Maddie.
Gabe
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