Pitch Black
zur Seite, fest entschlossen, sich selbst auf die Suche nach seinem Freund zu machen. Sie trug eine Papiertüte in der Hand und sah alles andere als glücklich aus.
»Was ist los?« Ethans Mund fühlte sich plötzlich wie ausgetrocknet an.
»Jordan ist körperlich anscheinend ziemlich unverletzt, aber…«, sagte sie langsam, als sei sie sich unschlüssig, ob sie weitersprechen sollte, »…er ist immer noch nicht ansprechbar.«
Vor Erleichterung hätte sich Ethan fast in die Hose gemacht, versuchte jedoch, gleichfalls ein unglückliches Gesicht aufzusetzen.
M sah ihn an, als wolle sie sagen: Tut mir leid, dass ich dich enttäuschen muss. »Vielleicht sollten wir später wiederkommen. Ich bringe dich…«
»Nein!« Er sprang vom Bett und baute sich vor ihr auf. »Nein! Ohne Scheiß, hast du gesagt!« Mit einer fahrigen Bewegung fuhr seine Hand nach vorne. »Du hast gesagt, ich könnte zu ihm.«
Ihre Augen wurden groß, und sie wich zurück, als hätte er sie erschreckt.
Er ließ die Hände sinken und sagte in ruhigerem Tonfall: »Du hast es versprochen.«
»Nun beruhige dich doch. Ich habe es versprochen. Und du kannst zu ihm. Ich habe nur gedacht, es wäre besser für dich, wenn wir noch warten.«
»Nein.«
»Na schön. Ich habe dir in dem kleinen Laden ein paar Kleidungsstücke besorgt.« Sie reichte ihm die Tüte. »Zieh dich an. Ich unterschreibe deine Entlassungspapiere und bin gleich wieder zurück. Dann gehen wir zu ihm.«
Er nickte barsch und packte die Tüte. Seine Hände zitterten so sehr, dass er kaum die Bänder des Krankenhauskittels aufbrachte.
Als er sich angezogen hatte, trat er vor den Vorhang.
M legte ihm den Arm um die Schultern. »Da entlang.«
Da seine Schuhe im Abfall gelandet waren, trug er noch immer diese bescheuerten Socken mit rutschfesten Noppen an der Unterseite, die er von der Schwester bekommen hatte. Er kam sich blöd vor, ohne Schuhe durch die Krankenhausgänge zu laufen. Als sie an offenen Türen vorbeikamen, versuchte er, nicht hineinzuspähen, aber die Neugier war stärker als seine guten Manieren. Für ihn sah es aus, als wären alle hier alt und dem Tod nahe. Lag Jordan auch im Sterben?
Der eigentümliche Geruch erinnerte ihn an die übertriebene Sauberkeit von Arztpraxen. Doch hier kam noch eine unverkennbare Note von…Krankheit hinzu. Ethan fiel kein passenderes Wort ein. Ihm war unbehaglich zumute.
Vor einer geschlossenen Tür blieb M schließlich stehen. »Jordan hat ein Einzelzimmer. Soll ich mit reinkommen?«
Kopfschüttelnd starrte Ethan die Tür an. Er war hin- und hergerissen zwischen dem Drang hineinzustürmen und dem Wunsch, einfach wegzulaufen.
Er presste die Lippen aufeinander, holte tief Luft, legte die Hand auf den Griff und öffnete die Tür. Nach der hellen Beleuchtung in den Gängen schien dieser Raum ziemlich dunkel. Draußen war es schon fast Nacht. Die Neonröhre über dem Bett war an, aber nicht sehr hell; es war eine Art Nachtlicht. Jordans Gesicht hatte die Farbe von schlecht gewordenem Sauerrahm, es war weiß und grün zugleich. Mit offenen Augen starrte er ins Leere, genau so, wie Ethan ihn zuletzt erlebt hatte.
Er war schon halb im Zimmer, als er Jordans Eltern bemerkte, die in einer dunklen Ecke neben der Tür saßen. Neben Jordans Mutter lehnte Todd McPherson an der Wand.
»Oh, tut mir leid…«, stammelte er eine Entschuldigung.
»Ist schon gut, Ethan«, erwiderte Jordans Mutter freundlich. »Geh nur hin, vielleicht redet er ja mit dir.«
Ethan nickte und ging zum Bett. Er befürchtete schon, die Eltern seines Freundes würden ebenfalls aufstehen und ans Bett treten, doch sie blieben, wo sie waren. Er stand mit dem Rücken zu ihnen, was ihm eine gewisse Ungestörtheit verlieh.
Er beugte sich zu Jordan vor, sodass dessen starrer Blick auf ihn fallen musste. »He, ich bin’s!«
Jordan rührte sich nicht. Er blinzelte nicht einmal.
»Es wird alles wieder gut«, sagte Ethan. »Du brauchst nur Ruhe, dann geht’s dir bald wieder besser.«
Jordan zeigte keinerlei Reaktion.
»Du siehst aus, als ob dir kalt wäre.« Ethan beugte sich vor und zog die Decken höher. Dabei flüsterte er Jordan ins Ohr: »Egal, was passiert, sag kein Wort. Ich habe mich um alles gekümmert.«
Als er sich wieder aufrichtete, blickte er sich vorsichtig um. Niemand sah zu ihm her, niemand hatte ihn gehört.
4
Der Kaffee in Kates Hand war bereits kalt geworden. Wie lange war es her, dass Todd ihn ihr gebracht hatte? Die nächtliche Finsternis
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