Pitch Black
ist er letzte Nacht verstorben.«
Todds Hand strich ihr über den Rücken. Sie spürte, wie er nickte und sein Kinn auf ihre Schädeldecke traf. »Wo ist er?«
»Es wird eine Autopsie vorgenommen. Ihr habt reichlich Zeit, alle Vorkehrungen für die Beerdigung zu treffen.«
»Sie haben doch gesagt, er hätte eine Kopfverletzung. Uns wäre es lieber, wenn man ihn nicht…« Er senkte die Stimme, als würden die Worte dann weniger schmerzhaft sein. »…aufschneiden würde.«
Kate warf den Kopf zurück. »Nein! Keine Autopsie!«
»Ich verstehe gut, wie ihr euch fühlt. Unglücklicherweise ist das bei Tod durch Unfall ohne Zeugen gesetzlich so vorgeschrieben. Es tut mir leid.«
Durch die Tränen konnte sie Todds Gesicht nur verschwommen sehen; beinahe war ihr, als wäre es Steve, der sie da in den Armen hielt. »Was soll ich jetzt bloß tun?«, flüsterte sie.
»Schschsch!« Todd drückte ihre Hand. »Es wird alles wieder gut.«
Wie konnte je wieder etwas gut werden? Sie war allein.
Gabe saß in seinem Jeep auf dem Krankenhausparkplatz, die Hände am Steuerrad, und starrte in den dunklen Himmel. Die Minuten vergingen, doch er machte keine Anstalten, den Motor zu starten. Die letzten Spuren des Adrenalins, das ihn angetrieben hatte, verflüchtigten sich langsam. Seine Beinmuskeln waren von dem schnellen Aufstieg zum Black-Rock-Wasserfall am Nachmittag verkrampft. Nacken und Schultern fühlten sich an, als hätte sie jemand ausgewrungen wie ein nasses Handtuch. Am schlimmsten aber war dieser kalte, dumpfe Schmerz in seiner Brust.
Er hatte noch nicht oft Familienmitgliedern eine Todesnachricht überbringen müssen–nicht in dem friedlichen Forrest County mit seiner geringen Bevölkerungsdichte. Und nun hatte er schon zum zweiten Mal innerhalb einer Woche jemandem den Tod eines geliebten Menschen mitteilen müssen. Am letzten Dienstag war es ihm zugefallen–der Footballplatz befand sich knapp außerhalb der Stadtgrenzen–, Zach Gilberts Eltern davon zu informieren, dass ihr siebzehnjähriger Sohn beim Training zusammengebrochen war. Alle Wiederbelebungsversuche der Sanitäter waren erfolglos geblieben. Der Junge hatte keinerlei Vorerkrankungen gehabt und gesund wie ein Ochse gewirkt. Sein Tod war ein absolutes Rätsel, das nur der Autopsiebericht aufklären konnte; der war allerdings nicht vor nächster Woche zu erwarten. Zachs Alter und die offenen Fragen hatten es besonders schwierig gemacht, die furchtbare Nachricht zu überbringen.
Und jetzt Steve McPherson…Verdammt! Er hoffte nur, die Dreier-Regel seiner Großmutter würde sich nicht bewahrheiten, sonst wäre er demnächst erneut als Todesbote unterwegs. Er packte das Steuer fester und fester, bis seine Arme schmerzten. Er schloss die Augen, doch gleich darauf riss er sie schnell wieder auf–um die verstörten Gesichter der letzten Tage nicht sehen zu müssen. Gott war sein Zeuge, er wollte keine Frau mehr anschauen müssen, die aussah, als hätte er ihr soeben ein Messer ins Herz gerammt.
Die arme Kate kam ihm vor wie jemand, der in einem Sturm umherirrte, so klein und verloren, die Augen voller Tränen. Er wünschte, er hätte gewartet, bis er Bobby aufgetrieben hätte. Wenigstens schien Todd ihr eine bewundernswerte Stütze zu sein. Aber der Junge hatte an seinem eigenen Kummer schwer genug zu tragen.
Zumindest würden ihn in McPhersons Fall nicht massenhaft Familienmitglieder mit Fragen bestürmen, auf die er keine Antworten wusste–im Gegensatz zu früheren überraschenden Todesfällen im Forrest County.
McPherson kam ursprünglich nicht aus der Gegend. Vor sechs Jahren waren er und Todd aus Michigan hierhergezogen. Steve war wegen der Natur und der Wildnis hergekommen, so hatte er ihm einmal erzählt, als sie während eines Footballspiels nebeneinandergesessen hatten. Seine Frau war gestorben, und er und sein Sohn hatten einen Ort gebraucht, wo sie darüber hinwegkommen konnten. Und das hieß für Steve McPherson: möglichst viel Zeit in der freien Natur verbringen.
Das Schicksal hielt manche bittere Pille bereit–besser, man dachte nicht weiter darüber nach.
Gabe atmete aus und ließ den Motor des Jeeps an. In Zeiten wie diesen wünschte er sich, er würde nicht allein leben. Wie angenehm müsste es sein, in ein Zuhause zu kommen, das voller Leben, Helligkeit und Liebe war – statt dunkler Fenster und trostloser Stille.
Und zum ersten Mal war der Mensch, der in seiner Fantasie auf ihn wartete, keine namen- und gesichtslose Frau. Es war
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