Pitch (German Edition)
leg doch, sagt Ferdi, deinen Firmenschlüssel einfach
zu dem Bild ins Handschuhfach.
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Die
Autobahnraststätte …
... verdankt ihren Namen einer alten, einsam dastehenden Büschelbuche,
die als einzige Überlebende eines hier ehemals gehegten
Wäldchens ihren verkrümmten Stamm wie den bizarr mahnenden
Zeigefinger über die ansonsten busch- und baumlose Ebene erhebt,
die von der dreispurigen Autobahn in zwei Teile geschnitten wird,
absichtlich hat man gleich neben ihr Tankstelle, Parkplätze,
Gaststätte und Motel besonders großflächig angelegt
und nach ihr benannt, obwohl sie schon längst nicht mehr schön
ist, der Wind hat sie verbogen, über hundert Jahre ist sie alt,
sie wurde in Zeiten gepflanzt, als man hier allenfalls zu Fuß
oder mit Pferden herkommen konnte, sie wuchs auf unter all den
anderen Rotbuchen, deren Fall und Abtransport sie miterleben musste,
gleichwohl hat sie sich nicht unterkriegen lassen, ist gewachsen, als
das Holz der gefällten Stämme längst verfeuert oder zu
Eisenbahnschwellen und Wäscheklammern verarbeitet worden war,
jetzt kommen die Kinder der Autofahrer und ritzen mit Taschenmessern
die Anfangsbuchstaben ihrer Namen in den Stamm, Runen zum Beweis,
dass sie hier gewesen sind, wen auch immer diese Botschaft erreichen
mag, sie, die Buche, stammt aus einer Zeit, als noch Kaiser und
Könige regierten, sie hat Weltkriege überstanden,
Diktatoren und Regierungen überlebt, sie hat Feldwege im Sommer
beschattet und sich im Herbst beim Bau der Autobahn entblättert,
und während das Straßennetz wuchs, hat sie ihre Wurzeln
ausgestreckt nach den Wurzeln anderer Bäume, die sie nie
erreichen wird, so steht sie da und erlebt jeden Tag die ewige
Wiederkehr des Dreischichtbetriebs in der Raststätte, das Kommen
und Gehen, die Putzfrauen, die Leute vom Service, die Köche, die
Kassiererinnen, die Tankwarte, ganz zu schweigen von jenen, die hier
Pause machen, tanken, essen, übernachten, bei laufendem Motor
noch eine Zigarette rauchen, so wie die vier bei dem Kompaktwagen,
die erst danach den Motor abstellen, den Wagen abschließen, ins
Restaurant schlendern, während andere herauskommen, einsteigen
und wegfahren, jedes Mal zuckt sie unmerklich, wenn ein Motor
anspringt, sie unterscheidet nicht zwischen denen, die ankommen, und
jenen, die abfahren, und auch der kurze Zeit später ihr
gegenüber parkende Sportwagen ist ihr gleichgültig, ein
Wagen wie jeder andere, denn für sie sind sie Feinde allesamt.
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Der
Kulturredakteur von TV4U …
… Paul
Schwarz hat sich einen schönen Platz am Fenster ergattert,
direkt gegenüber dieser grotesken alten Buche, er liebt solche
Fensterplätze, er liebt sie genau dieser Aussicht wegen, er mag
überhaupt Durchgangsplätze, diese Orte der flüchtigen
Begegnung, Bahnhöfe, Flughäfen, Autobahnraststätten,
mit ihren Restaurants, Kiosken und Geschäften, mit ihren
Auslagen von Brötchen und Brezeln, frischem Obst und Säften,
diesem Durcheinander von allerlei Überflüssigem, die Tasse
Kaffee im Stehcafé, das Gemurmel und Rauschen, diesen Duft und
selbst den Gestank von Menschen, die am Rande ihrer Reisen hier
hereinschlendern, etwas essen, sich erleichtern, manchmal sogar eines
dieser völlig überteuerten Zimmer mieten, in diesen
Karawansereien des Westens, vierrädrige Kamele mit zweihundert
und mehr Pferdestärken unter der Kühlerhaube auf den
Parkplätzen, mal kommt ein Wagen, dann wieder fährt einer,
oder ein Bus, so wie der, der hier gerade gegenüber parkt,
Schwarz betrachtet die Leute, die aussteigen, einige haben noch einen
Italienführer in der Hand, von dort scheinen sie zu kommen, eine
Frau, Mitte fünfzig, sie ist ein bisschen rund in der
Körpermitte, springt geradezu aus dem Bus und sticht auf die
Raststätte zu, sie kommt herein, schaut sich um und sucht das
Schild, das den Weg zu den WCs weist, sie sieht aus wie fünf
Tage Verstopfung, Schwarz schaut weiter herum, löffelt seine
Suppe, er selbst kommt aus Paris, eine kleine Doku über eine
große Werkschau von Delacroix und Géricault hat er dort
gedreht, die Crew ist geflogen, er selbst ist mit dem Auto gefahren,
er hat noch ein paar Tage drangehängt, ist über das Elsass
zurückgekehrt, er hat es sich schmecken lassen, ja, die beiden
Maler, die mit dem Klassizismus gebrochen hatten, lassen ihn noch
immer nicht los, dieses Genie Delacroix, das noch vor und über
sich das Werk Géricaults als dem seinen überlegen
angesehen hatte, und Géricault mit seinen Pferdebildern,
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