Pitch (German Edition)
Sprache unter anderen, Kleinanatolien in
verwinkelten Gässchen mit dunkel überhängenden
Fachwerkhäusern, vom Krieg verschont, mit einer Moschee im
Hinterhof, neben Frauen mit Kopftüchern gibt es hier Männer
mit Nazars, Amuletten gegen den bösen Blick, nur wenige der
Kinder schaffen es hier auf eine höhere Schule, seiner Schwester
Gül ist es gelungen, sie hat gute Noten nach Hause gebracht,
sehr gute sogar, und ein Stipendium für die Hochschule
obendrein, Ya ş ar
hat zwiespältige Gefühle, wenn er daran denkt, er will es
ihr gönnen, aber sie ist ihm auch fremder geworden, er sieht sie
selten und hat schon vermutet, dass sie einen Freund hat, er versucht
sich abzulenken, hört auf die Geräusche der Straße,
Sait hatte auch eine Schwester gehabt, die nicht ganz einfach gewesen
war, die Familie hatte sich um sie kümmern müssen, die
hatte auch unbedingt einen
Freund haben wollen, jetzt, war sie ordentlich verheiratet, in der
Türkei, war das richtig, war das falsch gewesen, war sie jetzt
glücklich oder unglücklich, war das wichtig, Ya ş ar
lauscht auf die Stimmen in der Straße, Ehreehreehre ,
man kann halt nicht immer tun, was man will, man muss auch tun, was
man tun muss, früher, wenn, dann nahm man einen Dolch, aber das
kommt auch heute noch vor, hin und wieder hört er Kurdisches,
Adygeisches, Aramäisches und Armenisches, er versteht es kaum,
er ist gereizt, als sein Handy klingelt, sagt er, weil er nicht damit
rechnet, von einem Deutschen angerufen zu werden, merhaba ,
hallo, mit wem spreche ich, fragt eine Stimme am anderen Ende der
Leitung, Ya ş ar
Nesin, mit wem bitte, Y-a- ş- a-r-n-e-s-i-n,
Sie haben mich angerufen, werbistu, fragt Ya ş ar,
er denkt an seine Schwester und daran, dass sie möglicherweise
einen Freund hat, einen Deutschen, dass sie eventuell der Ehreehreehre ihrer Familie schadet, Neuhäuser, Johannes Neuhäuser, Sie
haben mich angerufen, ich habe Ihre Nummer auf dem Display, isch hab
disch nisch angerufen, wie bitte, Ya ş ar
wird jetzt wütend, er versteht den anderen nicht, er denkt an
Gül, an Ehre, daran, was sie neulich sagte, dass sie ihr eigenes
Leben leben will, das soll sie ja auch können, eigentlich, er
ist aufgeschlossen, er will es sein, er denkt an Betty, die Tochter
seines Chefs, die er mag, und trotzdem ist da etwas, womit er nicht
klarkommt, das in ihm wühlt und ihm sauer aufstößt,
was willstu, aber Sie haben mich doch angerufen, Du, isch hab disch
nisch angerufen, er ist irritiert, der Anruf von diesem Unbekannten
ist für ihn in diesem Augenblick eine Aufforderung, eine Wahl zu
treffen, lass misch in Ruhe, du, aber ich habe doch Ihre Nummer auf
dem Display, heute Morgen so um zwölf, isch sag es dir noch
einmal, isch hab disch nisch angerufen un jetz produzier misch net,
hörstu, Ya ş ar
schreit es und schaltet sein Handy ab, er wird mit Gül reden,
jetzt gleich.
59
Ferdi,
bist du‘s, …
… ich
bin‘s Armin, Armin Päch, von Lachmann-Zeils Anwalt, hört
nur unterweltliches Rauschen, dann wird das Knistern leiser und die
Stimme am anderen Ende der Funkverbindung deutlicher, ja, sagt von
Lachmann-Zeil, wir sind gerade durch einen Tunnel gefahren, was
gibt‘s denn, fragt er den Anwalt, Altenbergs Controller sind
hier, hier in der Agentur, Corinna hat mich und Thomas angerufen,
weil sie nicht genau wusste, wie sie reagieren sollte, na bitte, sagt
Lachmann-Zeil, eine Buchhalterin, ein Steuerberater und und ein
Anwalt, da sind die Herren doch in guten Händen, Ferdi, sagt
Armin, die stöbern in allen Büchern herum, tja, sagt von
Lachmann-Zeil, das kann man ihnen schlecht verwehren, schließlich
wollen sie wissen, was sie für ihr Geld bekommen, hast du davon
gewusst, fragt Päch, was heißt gewusst , ich habe
heute Morgen, bevor wir losgefahren sind, noch mit Altenberg darüber
gesprochen, aber dass er seine Leute heute vorbeischickt, hatte ich
nicht erwartet, was machen wir denn jetzt, fragt Päch, he,
Armin, sagt von Lachmann-Zeil, du bist mein Anwalt, sag du es mir, er
lacht, neinnein, war nur ein Witz, ihr macht gar nichts, lasst sie
schauen, es wird ihnen keine Freude machen, aber man kann es ihnen ja
kaum verweigern, wäre schön gewesen, wenn sie erst nach der
Entscheidung des heutigen Pitchs die Zahlen gesehen hätten und
die Prognosen für die nächsten Monate, falls wir den Etat
überhaupt gewinnen, wie sind sie denn drauf, fragt er Päch,
na, wie sollen sie schon drauf sein, kühl, freundlich, sehr
korrekt, immer dann am freundlichsten,
Weitere Kostenlose Bücher