Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter
was willst du in Jakutsk schon groß machen. Deshalb habe ich mir drei Wochen freigenommen und bin losgedüst. Freunde, Partys, Frauen … Noch ein letztes Mal die Freiheit genießen.Chorowod mit Orchester und so. Und als der Urlaub schon fast zu Ende war, sagt ein Freund zu mir: Komm, lass uns noch für ein, zwei Tage nach Piter fahren.« Der Oberführer hielt kurz inne. »Und das haben wir dann auch gemacht. Tja. Und dort bin ich dann hängen geblieben.«
Schweigen. Mandela trat hinzu und hielt seine Hände über die Karbidlampe. Eine ganze Weile schaute er auf seine Finger, zwischen denen mildes rosabraunes Licht hindurchschimmerte.
»Das heißt also …«, der Schwarze schaute den Skinhead an, »… dass du in Jakutsk Frau und Kind hattest, als es passierte?«
»Eine schwangere Frau«, präzisierte der Oberführer gereizt. »Das Kind sollte in drei Monaten auf die Welt kommen.«
»Ein Junge oder ein Mädchen«, erkundigte sich Iwan und stockte. Was machte das schon für einen Unterschied?
»Ein Mädchen«, antwortete der Skinhead.
So hatte Iwan den Oberführer noch nie erlebt. Zum ersten Mal sah er tatsächlich wie über vierzig aus. Ach was, vierzig. Wie neunzig.
»Glaubst du, sie haben überlebt?«
Der Skinhead drehte den Kopf und warf Kusnezow einen kalten, erloschenen Blick zu. »Na, was meinst du, Mann?«
Kusnezow schwieg betreten. Er spielte mit einem alten Metallkompass herum – ein Ausstellungsstück aus dem Museums-Boot.
»Ich weiß es nicht«, sagte schließlich der Oberführer. »Eine Metro gibt es in Jakutsk nicht. Dafür Fröste bis minus fünfzig Grad. Und jetzt ist es wahrscheinlich noch kälter.«
»Eine Atombombe hat man dort wohl eher nicht abgeworfen«, warf Mandela ein. »Jedenfalls wäre das verwunderlich. Was gibt es dort schon, was strategisch bedeutsam wäre? Mal abgesehen von den Diamanten. Vielleicht sind sie tatsächlich noch am Leben?«
»Lass ihn in Ruhe«, unterbrach Iwan und fasste den Schwarzen an der Schulter.
»Schon in Ordnung!«, versetzte der Oberführer. »Ich bin schließlich nicht der Einzige, dem so was passiert ist. Es ist doch bei allen in der Metro die gleiche Scheiße. Toll habe ich gefeiert, verdammt! Wäre ich in Jakutsk geblieben, wäre ich jetzt bei ihnen. Unter der Erde vielleicht, aber immerhin bei ihnen. Oder was meinst du, Kämpfer gegen die weltweite Apartheid?«
Sie rüsteten zum Aufbruch und zogen die Gasmasken wieder an. Bald würden sie die Filter wechseln müssen. Iwan zog seinen Rucksack zu, prüfte, ob nichts locker war, und schlüpfte in die Trageriemen. Nun konnte es losgehen. Als er zu seinem Sturmgewehr griff, kam plötzlich Kusnezow auf ihn zu.
Der junge Milizionär schob seine Gasmaske ganz dicht an die des Diggers heran. Entweder, damit Iwan ihn besser verstehen konnte. Oder, damit kein anderer mithörte.
»Was macht einen guten Digger aus?«, fragte er. Also damit keiner mithören konnte. »Ich weiß, Chef, das ist eine dumme Frage, aber …«
Iwan überlegte und musterte Kusnezow. Offenbar hatte sich Mischa tatsächlich vorgenommen, Mitglied seiner Truppe zu werden. Der Junge meinte es ernst. Nur einen zweiten Sasonow konnte er nicht brauchen …
Beim Gedanken an den ehemaligen Freund stieg neuerlich ein Schwall von Wut in ihm auf.
Stopp.
Ruhig bleiben. Der Junge konnte schließlich nichts dafür.
Das war allein sein Problem.
»Was einen guten Digger ausmacht?«, erwiderte Iwan. »Das kann ich dir sagen. Ein guter Digger muss drei Regeln beachten. Erstens: Ein Digger ist mutig, aber nicht tollkühn. Zweitens: Ein echter Digger hält immer sein Wort. Und drittens: Den Körper eines gefallenen Kameraden überlässt ein Digger niemals den Bestien zum Fraß.«
»Digger lassen ihre Kameraden nicht im Stich«, sagte Kusnezow. Die Augen des jungen Milizionärs leuchteten sogar durch die Sichtscheiben der Gasmaske hindurch.
»Genau.«
»Aber … wie stellt man das an?«
»So.« Iwan nahm eine Handgranate und tat so, als würde er den Splint ziehen und gleichzeitig den Bügel festhalten. »Und dann schiebst du die Granate dem Toten so unter die Achsel, dass der Bügel festgeklemmt bleibt.« Iwan klemmte sich die Granate unter den Arm. »Eine hübsche Überraschung für die Bestie. Wenn sie den Toten auch nur anrührt, reißt es ihr den Kiefer weg. Klar?«
Kusnezow nickte begeistert. Mann, was für ein Frischling.
Iwan ließ den Blick über seine Männer schweifen.
»Vorwärts. Gehen wir mit Gott.«
Bleib nachts im Warmen,
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