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Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Titel: Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schimun Wrotschek
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war.
    Doch für den Seemann war das ein köstlicher Geruch. Der Geruch von Freiheit und Meer. Sogar besser als das Aroma des Kognaks in seinem Flachmann.
    Er legte die Hände aufs Steuerrad. Das kalte Metall fühlte sich ein wenig rau an. Hinter Krassin rumorte der Dieselmotor. Seltsam, dass er immer noch lief. Hätte doch längst absaufen müssen.
    Krassin wartete. Der Kognak im Flachmann lief ja nicht davon.
    Was machst du, wenn du alles verlierst? Gehst du ins Wasser? Schwache Menschen tun das. Und starke auch. Solche wie du, die weder das eine noch das andere, sondern Mittelmaß sind, fangen zu trinken an.
    Doch, er hatte schon in den letzten Schuljahren damit begonnen. Damals traf sich die Clique im zehnten oder elften Stock eines Betonklotzes. Sie saßen im Treppenhaus. Die Stufen waren mit den Ascheflecken ausgedrückter Zigaretten übersät, die nackten Wände mit Karikaturen und idiotischen Sprüchen verschmiert. Dort tranken sie, lachten und unterhielten sich. Besser gesagt: Die anderen unterhielten sich. Er selbst hatte sich schon früh aufs Trinken beschränkt. Es erschien ihm unnötig, die Zeit mit Geschwätz zu verplempern, wo es doch letztlich nur darum ging, sich den Wodka einzuflößen, der die Kehle hinunterrann wie Öl.
    Nach einiger Zeit war ihm aufgefallen, dass er sich öfter alleine betrank als in Gesellschaft – schweigend und systematisch.
    Die Freunde waren überflüssig geworden.
    Damals trank er einfach so lange, bis er das Bewusstsein verlor. Manchmal direkt an Ort und Stelle, wo er gerade war. Wenn es dazu nicht reichte, besorgte er sich Nachschub und gab sich dann zu Hause den Rest, am Treppenabsatz oberhalb des Stockwerks, wo er wohnte.
    Mehrmals hatten ihn die Nachbarn von oben nach Hause gebracht. Manchmal waren sie auch einfach hinuntergegangen, um seine Eltern zu rufen.
    Krassin nickte sich selbst zu.
    Als Alkoholiker kennst du keine Scham. Und du hast kein Gewissen mehr. Du hast gar nichts mehr.
    Das Einzige, was dich noch interessiert, ist die alkoholhaltige Flüssigkeit, die in deine Kehle rinnt. Wenn der erste Schluck im Magen landet, ist das wie eine Explosion. Die Welt tut sich auf und wird riesig. Nur dafür lebst du. Nur für diesen unaussprechlichen und unermesslichen Glücksmoment, der alles in den Schatten stellt. Für dieses Glücksgefühl würdest du so ziemlich alles tun.
    Der Durst und das Meer.
    Seine beiden Leidenschaften.
    Gewiss, man hatte versucht, ihn vom Suff abzubringen. Doch das Einzige, was ihn wirklich hätte heilen können, wäre das Meer gewesen. Es hatte nicht sein sollen.
    Der Krassin aus der jüngeren Vergangenheit steht auf und macht sich fertig. Er zieht seinen an den Knien durchgewetzten Arbeitsoverall an und einen vor Dreck strotzenden Pullover. Das Haar kämmt er sich mit den Fingern. Dann betrachtet er sich im Bruchstück eines Spiegels.
    Dunkles Haar. Dunkle Augen.
    Er setzt sich auf den Boden. Der Vorrat an Selbstmitleid ist noch lange nicht aufgebraucht. Der Geruch von Kreosot aus den Tunneln steigt ihm in die Nase. Und der Geruch heißen Metalls. Jetzt wird er sich noch eine Weile leidtun, dann wird er aufstehen und die Schächte neben der Schlosserwerkstatt fegen …
    Vor langer Zeit hätte man ihm beinahe ein Kriegsschiff anvertraut.
    Jetzt gibt man ihm selbst einen Besen nur ungern in die Hand.
    Er erinnerte sich noch genau an den Tag, als man ihm eröffnete, dass er genommen worden sei. In der Marineakademie. Fachgebiet Navigation. Er hatte sich unter vierzig Bewerbern auf einen Studienplatz durchgesetzt. Er würde Steuermann werden. Oder sogar Kommandant.
    Zu jener Zeit hatte er ein halbes Jahr nicht getrunken. Er hatte damit aufgehört und sich ganz aufs Studium konzentriert. Mathematik und Englisch, Physik und Sport, Dozenten und Bücher. Im März, als die Vorprüfungen begannen, war er einer der Besten gewesen und hatte das auch selbst gewusst. Die Aufnahme in die Akademie war sein sehnlichster Wunsch gewesen.
    Die Dozenten spürten seinen unbedingten Willen.
    Die Kommilitonen spürten seinen unbedingten Willen.
    Sogar er selbst spürte diesen unbedingten Willen.
    Du hast es selbst verbockt, sagt der Krassin aus der jüngeren Vergangenheit zu seinem Spiegelbild. Dann steht er auf und räumt das Spiegelfragment in den Blechspind. Darin liegen Lehrbücher und Lexika über Navigation und was er sonst in den zwanzig Jahren seit der Katastrophe zusammengetragen hat.
    Bücher sind billig. Denn niemand außer einem versoffenen Tunnelkehrer

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