Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

irgendwo anders hin, nur nicht zu dem Monster, das im Wasser saß.
    Im Blickfeld erschien der Kopf des Oberführers. Mit Gasmaske. In den Okularen konnte er sein Spiegelbild erkennen.
    »Ein Glück, dass du eine Isoliermaske aufgesetzt hast«, sagte der Oberführer. »Sonst wärst du jämmerlich ersoffen. Aber das Teil, was du da hast, funktioniert auch im Wasser. Wie die Tauchretter in einem U-Boot: Sauerstoffflasche, Atembeutel, alles da.«
    Iwan stand auf. Abermals spukte der schauderhafte Anblick des Monsters durch seinen Kopf. Das Geplapper des Oberführers half ihm dabei, den Horror abzuschütteln.
    »Wie hoch ist die Strahlendosis hier?«, fragte er, um wenigstens irgendwas zu sagen.
    »Normal.« Der Oberführer winkte ab. »Setz dich wieder hin. Fünf Röntgen pro Stunde.«
    »Meine Fresse.« Iwan besann sich. »Was ist mit Krassin?«
    Der Oberführer senkte den Blick.
    »Krassin ist nicht mehr. Ewiges Gedenken … und so fort.«
    Iwan wandte sich zum Meer. Er schwankte, ging zwei Schritte und blieb stehen. Weiter kam er nicht.
    Wie damals in der Höhle, mit dem Maschinengewehr.
    Er wollte nicht.
    Die Wellen rollten auf den grauen Sand und zogen sich schäumend wieder zurück. Als Mitbringsel ließen sie dunkle Tangfetzen zurück. Die leblosen schwarzen Fluten erstreckten sich bis zum Horizont, wo sie in einem grauen Nebelschleier verschwammen. Iwan drehte den Kopf. Ein Stück weiter am Ufer erblickte er die halb versunkene Silhouette des U-Boots. Leb wohl, S-189. Leb wohl, Leutnant Krassin …
    Unermüdlich spülte das Meer graue Wellen an den Strand.
    Iwan schaute ihnen eine Weile zu und wandte sich dann den anderen zu.
    »Habt ihr gar nichts bemerkt?« Seine Wange zuckte. »Ich meine, etwas Ungewöhnliches? Dort, im Wasser?«
    Der Oberführer sah Iwan schweigend an.
    »Na, was ist?«, bohrte der Digger nach. »Hat’s euch die Sprache verschlagen?«
    »Dort … Ich wollte eigentlich nichts sagen. Als ich zurückgegangen bin, um deine Sachen zu holen … äh … dort am Ufer …«
    »Sag schon!«
    »Da waren Spuren«, sagte der Oberführer.
    »Also Folgendes«, sprang ihm der Graue bei. »Du hattest doch von einem ›Passagier‹ erzählt. Weißt du noch? Der von Anfang an dabei war. Wir glauben, dass der keineswegs verschwunden ist.«
    »Aha«, erwiderte Iwan. Das hatte noch gefehlt. »Ihr glaubt also, dass …«
    »Wir glauben, dass dieser ›Passagier‹ der Meinung ist, dass er ein Ticket für die Hin- und Rückfahrt hat.«
    »Das Lagerfeuer ist ein Geschenk der Götter.« Der Oberführer wärmte sich die Hände an der Flamme der Karbidlampe. »Schade, dass das nicht jeder versteht.«
    Iwan erinnerte sich an die Station Tschornaja retschka und an die Zigeuner … An das lodernde Feuer, um das sich die Männer mit den bärtigen, finsteren Gesichtern versammelt hatten.
    »Allerdings.«
    Die gelbe Flamme der Karbidlampe beleuchtete den Keller, in den sich Iwan und seine Männer verkrochen hatten. Hier war es so gemütlich, dass sie am liebsten länger geblieben wären. Warum auch nicht? Sollte man etwa sein ganzes Leben in der Metro zubringen?
    Tja. Leider überlebten Menschen an der Oberfläche nicht. Jedenfalls nicht lange.
    In dem Keller konnten sie zumindest die Gasmasken abnehmen und sich ein wenig erholen.
    »Weißt du, was mir schon vor langer Zeit aufgefallen ist?«, sagte der Oberführer zu Iwan. »Du wirkst gar nicht wie ein echter Petersburger.«
    »Echt?« Der Digger zog verwundert die Augenbrauen hoch. »Wie kommst du darauf?«
    »Dir fehlt diese typisch europäische intellektuelle Schwermut. Diese lethargische Schwermut, die vom Nichtstun kommt. Die Engländer nennen das Spleen. Wir nennen es Weltschmerz.«
    Iwan musterte den wackeren Skinhead.
    »Ich bin aber trotzdem ein echter Leningrader. Du bist doch derjenige, der nicht aus Petersburg kommt, wenn ich das richtig im Kopf habe. Und auch nicht aus Moskau.«
    »Stimmt.« Der Oberführer schmunzelte. »Ich komme überhaupt aus der hinterletzten Provinz. Aus Jakutsk, stell dir vor. Das war schon vor der Katastrophe am Arsch der Welt, jetzt liegt es in einem anderen Sonnensystem. Zig Lichtjahre entfernt. Es gab mal die Republik Sacha. Jetzt ist es die Republik Mond.«
    Iwan kratzte sich am Ohr. »Und wie hat es dich hierherverschlagen?«
    »Ganz einfach, Watson.«
    »Wer?«
    »Vergessen Sie’s, Sir. Ich bin nach Moskau gekommen, um meinen Junggesellenabschied zu feiern – sozusagen. Meine Frau war nämlich im siebten Monat schwanger. Aber