Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter
heraus. In den Deckenleuchten brannten Tageslichtlampen. Die Wände waren vertäfelt (waren das etwa Holzplatten?) und mit Plakaten behangen, auf denen so seltsame Dinge standen wie: »Liebe Mitarbeiter. Denkt stets an die Strahlengefahr! Das Schicksal der nachwachsenden Generation liegt in eurer Hand.« Fjodor erklärte, dass das wohl eher als ironischer Scherz gemeint war. Die Mitarbeiter des Leningrader AKWs hatten sich auf einen feierlichen Anlass vorbereitet.
In den Gängen gab es sogar Ruhesofas und vertrocknete Pflanzen in riesigen Kübeln. Das Halbdunkel verbarg die Spuren der vergangenen Jahre.
Schade, dass Sterndeuter das nicht sehen kann, dachte Iwan. Und Professor Wodjanik.
Ob ich wohl einschlafen kann, ohne eine meterdicke Erdschicht über mir zu wissen, die vor Bestien und Strahlung schützt? Gewöhnungsbedürftig.
Obwohl. Wahrscheinlich bin ich auf der Stelle weg, wenn ich ein Kissen unter meinem Kopf spüre. So fertig, wie ich bin.
»Was ist das denn?«
Iwan sah sich um. Eine riesige, grell beleuchtete Halle. Nackte, weiße Wände, die das blendende Licht Dutzender Tageslichtlampen reflektierten. Ein glatter Boden. In der Mitte der Halle befand sich eine kreisförmige Fläche, die aus Hunderten bunter Quadrate bestand. Einige wenige Quadrate fehlten, dort gähnten Löcher.
Unterhalb der Decke verliefen Eisenleitern und mächtige Führungsschienen. In der Ecke erhob sich der lange Zylinder eines gewaltigen Krans, dessen graue Gestelle bis zur Decke reichten.
»Wo sind wir hier?«, erkundigte sich Iwan.
»In der Reaktorhalle«, antwortete Fjodor. »Der Reaktor befindet sich praktisch direkt unter unseren Füßen. Diese Kreisfläche hier mit den bunten Quadraten ist der Bereich, von dem aus die Brennelemente in den Reaktor eingefahren werden.«
»Äh … und warum sind wir ausgerechnet hierhergekommen?«
»Weil es hier am sichersten ist. Ich schlafe hier.«
»Was, direkt über dem Reaktor?«, fragte der Oberführer verblüfft.
Der Alte schmunzelte.
»Wieso ›direkt‹? Dort drüben, in der Ecke.«
Iwan blickte sich um. Tatsächlich. Hinter einem Stahlregal, in dem alle möglichen Gerätschaften und Bauteile lagerten, lugte eine gestreifte Matratze hervor. Der alte Mann war wirklich hart im Nehmen.
»Es ist absurd«, kommentierte Fjodor. »Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich mal in einer Reaktorhalle schlafe, um mich vor radioaktiver Strahlung von außen zu schützen. Aber hier ist es wirklich am sichersten. Unter uns befindet sich eine mehrere Meter dicke Strahlenschutzplatte – wir nennen sie ›Jelena‹ – und über euren Köpfen eine Betonkappe, die theoretisch den Absturz eines Düsenjets aushalten würde.«
»Der Hammer«, kommentierte der Oberführer und blickte beeindruckt zum Hallendach.
»Es ist der sicherste Ort im ganzen Kraftwerk. Glauben Sie einem alten Mann.«
»Du hast doch von Blues keine Ahnung«, lästerte der Oberführer. »Mal ehrlich: Kannst du Chicago Blues von Texas Blues unterscheiden?«
»Ach, lass mich doch in Ruhe«, entgegnete Mandela, rollte beleidigt seine Matratze zusammen und verzog sich in eine andere Ecke zum Schlafen.
Demonstrativ.
Wenn eine Tür da gewesen wäre, hätte er sie zugeknallt.
»Musst du ihm eigentlich ständig eins reinwürgen, Ober?«, fragte Iwan. »Er ist doch ganz in Ordnung.«
»Absolut«, pflichtete der Skinhead bei, ließ sich aufs Kissen zurücksinken und legte die Hände unter den Kopf. »Denkst du, das merke ich nicht? Es macht mir einfach Spaß, ihn zu ärgern, verstehst du? Und überhaupt, überleg doch mal. Ich bin ein Skinhead, oder nicht?«
Iwan betrachtete den frisch rasierten Schädel des Oberführers und grinste.
»Also, ehrlich gesagt …«
»Labere keinen Müll«, versetzte der Oberführer milde. »Ich bin ein Skin und er ist ein Neger. Das ist doch die klassische Voraussetzung für einen Image-Konflikt.«
»Hä? Kapier ich nicht.« Iwan runzelte die Stirn. »Wovon redest du?«
»Ganz einfach. Ich bin eine Glatze. Was mach t eine Glatze, wenn sie einen Schwarzen sieht? Richtig. Sie tritt ihm in seinen schwarzen Hintern. Logisch, oder? Logisch. Und wenn so ein glatzköpfiger Skinhead nur dasteht und dem Schwarzen nicht in den Hintern tritt, was bedeutet das dann? Dass er Schiss hat. Dass er keine Eier hat. Also ist das schon richtig so, you understand ? Und wenn so ein Neger nicht merkt, dass er es mit einem potenziellen Rassisten zu tun hat, und ihn nicht in seinen arischen Hintern tritt, was
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