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Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter

Titel: Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schimun Wrotschek
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hinunterwürgen ließ. Nur nichts verkommen lassen.
    Der nächste Löffel. Klapperndes Blech. Schaben.
    Eine feine Sache, diese Notvorräte der Armee. Das Rindfleisch war bestimmt schon dreißig Jahre alt und immer noch genießbar. In den Geschmack mischte sich ein Schuss Nostalgie. Als wäre er wieder Anfang zwanzig, säße am Stolleneingang und spachtelte Dosenfleisch. Nach Expeditionen war er immer völlig ausgehungert gewesen.
    Und durstig.
    Tja, der Durst. Jetzt ein schönes dunkles Bier, das wär’s.
    Nüchtern hatte sich damals niemand in den Tunneln herumgetrieben. Das war nicht üblich gewesen. Man tastete sich voran, suchte, forschte. Grenzwertige Geschichte. Und überhaupt – er beförderte den nächsten Bissen in den Mund und kaute nachdenklich –, irgendjemand hatte das ja mit eigenen Augen sehen müssen …
    Wer hatte ahnen können, wie das alles enden würde?
    Die Toilettenanlagen, die hermetischen Tore, die Entwässerungspumpen, die Dieselgeneratoren – wer hätte gedacht, wie nützlich sie einst werden würden?
    Damals hatte er versucht, sich vorzustellen, wie es wohl wäre, wenn das ganze Zeug mal in Betrieb gehen würde.
    Und wie das Zeug in Betrieb gegangen war. Obwohl es besser gewesen wäre, wenn nicht.
    Schade nur, dass er es nicht mehr sehen konnte.
    Er zuckte zusammen. Eine ungeschickte Bewegung – schon war der nächste Bissen vom Löffel gerutscht. Mist.
    Um es zu sehen, hätte er Augen gebraucht.
    Eine böse Sache, das mit seinen Augen.
    Dafür konnte er nun am Geräusch erkennen, wo das Stück Fleisch hingefallen war. Echoortung, fast so gut wie bei Fledermäusen.
    Das Labyrinth aus Tunneln, Schächten, Bunkern und Durchgängen war für immer in seinem Gedächtnis gespeichert. Er musste sich nur gedanklich an einen beliebigen Punkt versetzen und schon hatte er ein detailliertes Bild der Örtlichkeiten vor dem inneren Auge. Dieser Schacht hier wäre sicher interessant, dort drüben könnte man sich einmal umschauen …
    Aber jetzt? Alles passé.
    Eine Weile saß er gebeugt und reglos am Tisch – wie paralysiert. Die verdammten Augen. Wieso hatte das passieren müssen? Bitter.
    Mehrere Minuten verharrte er so. Dann richtete er sich wieder auf und der Löffel klapperte wieder in der Konserve. Das stumpfe Mahlen der Kiefer.
    Touristenfrühstück, verdammt.
    Diggerfrühstück.
    »Sankt Petersburg … also Leningrad, ist die am wenigsten sowjetische Stadt der Sowjetunion. In dieser Hinsicht kann ihr höchstens Tallinn das Wasser reichen. Tallinn mit zwei n. So sieht’s aus.«
    Das waren in etwa Kossolapys Worte gewesen.
    Leningrader Gotik.
    Trübes Grau in Grau, Matsch, Nebel, schattenhafte, verschwommene Konturen und Nieselregen. Häuser, die aus dem Dunst auftauchen. Verblasste Fassaden. DerEherne Reiter auf dem gewaltigen Felsblock.
    Der bronzene Puschkin, der nachts spazieren geht.
    Der Newski-Prospekt, wie immer verstopft, jetzt sogar nachts. Verrostete ausländische Limousinen.
    Hinter den grauen Nebelschwaden verbirgt sich etwas Grauenhaftes …
    Iwan geht am Newski-Prospekt entlang und zählt die Cafés.
    Nummer eins: das Internetcafé »Cafemax«.
    Nummer zwei: das Café »Schokoladniza«. Die Pfannkuchen müssen Sie unbedingt probieren!
    Das Café »Idealnaja Tschaschka«. Die orangefarbenen Tische stehen verwaist in der Dunkelheit. Am schiefen Garderobenständer hängt immer noch ein vergessener Schirm.
    Knurren und Bellen in der Ferne. Ein verhallendes Echo. Der monströse Bau der Kasaner Kathedrale mit seinen gebogenen Seitenflügeln, die einen umfangen wie ein hallendes, feuchtes Tellereisen.
    Dingdong, dingdong.
    Zar Peter der Große: »An dieser Stelle soll eine großartige Stadt entstehen.«
    Der mit einem Grauschleier verhangene, niedrige Himmel. Die Kuppel der Kasaner Kathedrale versinkt im Nebel.
    Unter den Füßen der rissige, graue Asphalt, aus dem hie und da weißgraue Triebe ragen. Vom Dach löst sich ein Stein und poltert in die Dachrinne. Eine Bewegung im Nebel. Nein – doch. Dort rührt sich etwas hinter dem dichten Schleier, weit weg von hier. Etwas Riesiges …
    Wenn Iwan die Fassaden der Häuser betrachtet, kommt es ihm so vor, als könnte er keine Farben unterscheiden.
    Wir sind alle tot.
    In der Totenstille eines verlassenen Cafés singt Tom Waits. Er singt den Sankt Petersburger Blues von einer Regennacht am Newski-Prospekt.
    Eine dickwandige weiße Tasse auf einem plumpen Untersetzer, auf dem Grund eine schwarze, eingetrocknete Kruste. Daneben ein

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