Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter
Sasonow mit den Augen fest.
»Du …«
»Wer hat dir dieses hübsche Spielzeug gegeben?«, fragte Iwan. »Du brauchst nicht zu antworten. Ich kann es mir auch so denken. Orlow? Oder der General selbst? Ach, Wadim, Wadim. Schieß endlich. Du kotzt mich an. Du …«
Iwan sprang. Schräg nach vorn. Der Lauf des Revolvers folgte seiner Bewegung.
Der Schuss.
Verdammt schnell, die Drecksau, dachte Iwan noch.
Interessante Frage: Wann merkt ein Mensch, dass er tot ist?
Scheiße. Der lässt dir keine Zehntelsekunde Zeit. Sasonow ist schneller als alle, die ich kenne. Vielleicht sogar schneller als Gladyschew.
Denk nach, Iwan, denk nach.
»Worauf warten wir?«, fragte er.
Sasonow lächelte. Aus dem Schacht kam Orlow, der Geheimdienstchef der Admiraltejskaja . Nun war klar, worauf sie gewartet hatten. Orlow blieb stehen und sah Iwan an.
»Der General hat dir eine faire Chance gegeben, Iwan Danilytsch«, sagte er leise. »Eine Chance für deine Zukunft.« Jetzt wurde er laut. »Und du hast deine Zukunft einfach ins Klo gespült!«
»Wohin?«, fragte Iwan.
Orlows eisig-blaue Augen durchbohrten Iwan. Der Geheimdienstchef setzte zu sprechen an, doch dann hielt er inne und machte den Mund wieder zu.
»Egal«, sagte er schließlich und wandte sich an Sasonow. »Bring das zu Ende, Wadim.«
Mit dem Daumen spannte Sasonow den Hahn. Ekelhaftes Geräusch.
Sasonow sah Iwan an. »Sorry. Sag: Bato-ontschiki.«
Iwan schwieg.
»Na, sag schon!«
Orlow seufzte. »Was soll denn das Geplänkel?! Schieß endlich! Wir haben noch was anderes zu tun.«
Sasonow schüttelte den Kopf.
»Nein. Er soll es sagen. Wir töten hier schließlich nicht irgendeinen Zombel. Sondern eine lebende Legende, sozusagen. Merkulow-Plan und so.«
»Ich scheiß auf deine Legende. Wadim, ich …«
»Er soll es sagen.« An Sasonows Stirn glänzten Schweißtropfen. »Sag es! Wenn nicht, kehre ich zur Wassileostrowskaja zurück und erschieße deine Tanja.«
»Wadim!«, donnerte Orlow. »Es reicht jetzt!«
»Sag es!«, befahl Sasonow.
Iwan richtete sich auf. Der Moment der Abrechnung schien gekommen.
Einen tollen Nachwuchs habe ich mir da herangezogen, dachte er. Kossolapy wäre begeistert gewesen.
»Gut«, sagte Iwan. »Bist du bereit, Mörder?« Er grinste hasserfüllt. »Meine Lieblingsbonbons heißen Bato-o…«
Iwan sprang.
Alles wiederholte sich. Für einen kurzen Augenblick dachte er sogar, dass er es schaffen könnte.
Der Feuerblitz. Der Schuss.
Die herabstürzende Decke. Und die rostige Stimme des Baumes der Wünsche: »Du wirst nicht zurückkehren. Niemals.«
2. Teil · Wiegenlied
ZWEITER TEIL
WIEGENLIED
Motto
Kein Windhauch, keine Bö
schaukelt deine Wiege.
Deine Mutter ist perdu,
ich sing was dir zuliebe.
All die braven Kinder
ruhn in eignen Betten,
auch für die bösen wär’s gesünder,
wenn sie eines hätten.
D. SERGEJEW, frei nach dem Song »On the Nickel« von Tom Waits
9 Der Herr der Tunnel
9
DER HERR DER TUNNEL
Klappernd schabte der Löffel die Reste von der Blechwand der Konservendose: festes Fett und Fleischsoße – mjam, lecker. Über verfaulte Zahnstumpen hinweg fuhr der Löffel in den Mund, wo die Zunge ihn sorgfältig entlud. Dann kehrte er wieder in die Konservendose zurück.
In der Metro gab es keine Zahnärzte.
Es gab Barbiere – so was wie die Scharlatane aus dem Geschichtsbuch, die den Leuten Zähne zogen und ihre Wunden und Beulen mit Beschwörungsformeln behandelten. Aber die Metro-Barbiere waren noch schlimmer.
Außerdem gab es die Militärärzte von der Station Ploschtschad Lenina . Doch nicht mal denen traute er über den Weg. Wieso auch?
Wenn man einundfünfzig ist, kann man schon mal über den Tod nachdenken. Fragt sich nur, wozu?
Der alte Mann schüttelte den Kopf. Als der Löffel wieder in die Dose tauchte, hörte er das typische, schabende Geräusch. Er ertastete das Fleisch, teilte säuberlich einen Happen ab und lud ihn auf den Löffel. Geschickt hob er das Stück Rindfleisch aus der Dose und führte es zum Mund.
Übung macht den Meister.
Er klemmte das Fleisch zwischen Zunge und Gaumen und ließ die Eindrücke auf sich wirken: die Form, die faserige Konsistenz, die Kälte. Er konnte den Bissen nun beinahe sehen. Es war ein wunderbares Stück Fleisch.
Nun ging es ans Kauen. Die stumpfen Zahnruinen waren kein guter Gegner für die zähen Fleischfasern. Mühsam pressten sie allen Saft aus dem Bissen und verwandelten ihn in einen gummiartigen Klumpen, der sich mit viel gutem Willen
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